Tante Lisbeth (German Edition)
Halbnacktheit vergessen. In dem Blick, den sie dem Marquis zuwarf, funkelten Dolche.
»Das also ist Ihre Treue!« rief sie ihm ins Gesicht, indem sie nahe an ihn herantrat und auf Cydalise hindeutete. »Und Sie haben mir einen Schwur geleistet, an den selbst eine Leugnerin der Liebe geglaubt hätte! Sie, für den ich so viel getan, sogar Verbrechen begangen habe! Und doch sind Sie in Ihrem Rechte! Die da ist jünger und schöner als ich! Gegen sie bin ich nichts! Ich weiß wohl, was Sie mir entgegnen werden ...« Dabei zeigte sie auf Stanislaus, der in Unterhosen dastand. Ihre eigene Untreue war ja nicht zu leugnen. »Das ist mein Trost! Wenn ich Sie noch lieben könnte trotz Ihres gemeinen Verrats – Sie haben mir aufgelauert, haben jede Stufe der Treppe hier hinauf mit Geld erkauft, haben die Wirtin bestochen, das Dienstmädchen, vielleicht auch meine Kammerjungfer! – wenn ich für einen gemeinen Verräter wie Sie noch ein bißchen Zuneigung verspürte, dann könnte ich ihm mein Verhalten auf eine Weise begründen, die seine Liebe zu mir verdoppeln müßte ... aber ich überlasse Sie, Marquis, Ihrer Eifersucht und Ihrer Reue! – Stanislaus, bitte, mein Kleid!«
Sie nahm es, zog es an, musterte sich im Spiegel und machte sich langsam und sorglich fertig, ohne sich um Montes von Montejanos weiter zu kümmern, durchaus als wäre sie für sich allein.
»Stanislaus, bist du fertig? Geh, bitte, voran!«
Durch einen verstohlenen Seitenblick hatte sie des Brasilianers Miene ausgekundschaftet. Er sah totenbleich aus, und diese Blässe wähnte sie als Anzeichen jener Nachgiebigkeit deuten zu dürfen, die gerade übergesunde Männer angesichts weiblicher Reize so leicht zurückerobern hilft. Sie trat dicht an ihn heran. Er sollte den leisen geliebten Geruch atmen, der schmeichelnd von ihr ausströmte. Sie erfaßte seine Hand und fühlte sein heißes Blut schlagen. Und vorwurfsvoll sagte sie:
»Ich gestatte Ihnen, Ihre Intrige gegen mich Herrn Crevel zu verraten. Er wird Ihnen kein Wort glauben, und übermorgen bin ich seine Frau! Ich werde ihn sehr glücklich machen! Leben Sie wohl! Geben Sie sich Mühe, mich zu vergessen!«
»Valerie!« rief der Brasilianer und zog sie in seine Arme. »Das ist unmöglich! Komm mit mir nach Brasilien!«
Sie schaute ihn leidenschaftlich an, im Glauben, ihren Sklaven wiedergewonnen zu haben.
»Wenn du mich wirklich noch liebst und immerdar lieben wirst, dann werde ich in zwei Jahren deine Frau sein. Aber im Augenblick kommst du mir zu heimtückisch vor ...«
»Valerie, ich schwöre dir: man hat mich betrunken gemacht. Falsche Freunde haben mir dieses Weib da aufgehalst. Die ganze Überraschung hat der Zufall herbeigeführt. Glaube mir!«
»Vielleicht könnte ich dir verzeihen ...«
»Und dennoch einen andern heiraten!« rief er in wirklicher Herzensnot laut aus.
»Achtzigtausend Francs Rente sind kein Pappenstiel!« sagte sie brutal aufrichtig. »Und Crevel wird sich an mir bald zu Tode geliebt haben!«
»Ach, ich verstehe!« stöhnte der Verliebte.
»Wir werden uns verständigen!« entgegnete Valerie. Ihres neuen Sieges sicher, schritt sie die Treppe hinab.
Ich werde mir keine Vorwürfe machen! sagte sich der Zurückgebliebene, der wie versteinert dastand. Was bildet sich das Weib ein? Ich werde das Werkzeug des göttlichen Zornes sein!
Zwei Tage darauf war Valerie Crevels Frau. Sie hatte das Vergnügen, während der kirchlichen Zeremonie den Marquis Montes zu erblicken. Crevel hatte ihn aus Prahlsucht zur Hochzeitsfeier eingeladen. Seine Anwesenheit beim Dejeuner wunderte niemanden. Man ist an die Feigheit der Leidenschaft und die Transaktionen des Genusses gewöhnt.
Steinbock sah traurig aus. Er begann die zu verachten, die er zu einem himmlischen Wesen erhoben hatte. Man glaubte, zwischen ihm und Valerie sei Schluß.
Vier Wochen nach ihrer Wiederverheiratung war es das zehnte oder zwölfte Mal, daß sie sich mit Stanislaus überwarf. Er hatte von ihr eine Erklärung gefordert, wie sie mit dem Brasilianer stehe. Er hatte ihr gewisse Worte wiederholt, die während der Szene im »Paradies« gefallen waren. Er hatte sie dauernd überwacht, so daß sie keinen Augenblick tun konnte, was sie wollte, und sozusagen zwischen der Eifersucht des Polen und den ehelichen Zärtlichkeiten ihres Mannes eingezäunt war. Das regte sie dermaßen auf, daß sie dem Geliebten einmal das ihm geliehene Geld vorwarf. Steinbock war viel zu stolz, als daß er weiterhin Crevels Haus betrat. Damit
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