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Tante Lisbeth (German Edition)

Tante Lisbeth (German Edition)

Titel: Tante Lisbeth (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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unrechte Zimmer. Machen Sie aber keinen Skandal! Wenn Sie sich rächen wollen, müssen Sie geschickt Komödie spielen, Verzweiflung markieren, den Betrogenen zur Schau tragen! Verstehen Sie?«
    »Ich verstehe!« entgegnete Montes.
    »Lebt wohl, Kinder!« sagte Frau Nourrisson, indem sie sich erhob. Sie gab Cydalise ein Zeichen, Montes hinunterzugeleiten. Sie selbst nahm Carabine noch einen Augenblick beiseite.
    »Wir haben nur eins, zu befürchten: daß dieser Indianer Valerie erwürgt! Dann säßen wir schön in der Patsche! Die Sache muß sich in aller Gemütlichkeit abspielen. Indessen, es wird schon gehen! Und dir werde ich einen Geliebten verschaffen ...«
    »Mir liegt einzig und allein daran«, erwiderte Carabine, »die Josepha auszustechen. Trug diese Erzgaunerin heute Perlen! Meine Seligkeit gäbe ich darum!«
    Montes, Frau Nourrisson und Cydalise nahmen eine Droschke und fuhren nach einem dem Kutscher bezeichneten Hause am Boulevard des Italiens. In sieben bis acht Minuten waren sie dort. Der Brasilianer hatte unterwegs seine Selbstbeherrschung leidlich wiedererlangt. Er war gefaßt wie einer, der seinen Bankrott erklärt hat.
    Das Paradies von Valerie und Stanislaus hatte wenig Ähnlichkeit mit Crevels Nestchen, das er übrigens an den Grafen Maxime de Trailles verkauft hatte, da er es nunmehr für überflüssig hielt. Dieses Paradies war das Paradies vieler Leute. Es lag im vierten Stock. Das ganze Haus war eine hermliche Liebesherberge. Frau Nourrisson hatte es gemietet und schlug einen erklecklichen Gewinn aus der Wiedervermietung. Kleiderhändlerin war sie nur als Frau Nourrisson Nummer II.
    Das an den Grafen Steinbock vermietete Liebesnest war mit dicken Teppichen ausgelegt. Das Bett stand in einem Alkoven. Auf dem Tische sah man die Reste eines kleinen Soupers und zwei Flaschen Sekt in einem Eiskühler. Eine hübsche Kommode, zwei bequeme Lehnstühle und ein Spiegel im Pompadourstil vervollständigten die alles in allem nüchterne Einrichtung. Eine Ampel spendete mattes Licht, das durch die brennenden Kerzen auf dem Tische und auf dem Kaminsimse zwielichtartig verstärkt wurde. In solch einem Räume, der im Monat dreihundert Francs kostete, feierte die illegitime Liebe in Paris um 1840 ihre heimlichen Feste!
    In dem Augenblick, wo Cydalise und der Marquis die Treppe hinaufgingen, stand Valerie vor dem Kamin, in dem ein Haufen Knüppelholz glühte, und ließ sich von Stanislaus das Korsett zuschnüren. In diesem Zustande der Toilette sind Frauen, die wie die feingebaute elegante Valerie weder zu stark noch zu mager sind, ganz besonders verführerisch. Das mattschimmernde Fleisch der Büste und der Arme reizt das schläfrigste Auge zum genauen Hinsehen. Das Halbnackte, die sich durch den dünnen Stoff des enganliegenden Unterrockes und des feinen Korsetts deutlich verratenden Linien des Körpers machen eine Frau unwiderstehlich.
    Bei Steinbock kam die eigentümliche Anziehungskraft hinzu, die von allem ausgeht, was man verlassen soll. Valeries glückselig lächelndes Gesicht, ihre vor Ungeduld zappelnden Füße, die Hand, die ordnend über das Widerspenstige der flüchtig wiederhergestellten Frisur strich, ihre Augen, aus denen Dankbarkeit und jene verglimmende Glut der befriedigten Sinnlichkeit leuchteten, die ein Gesicht wie das Abendrot überfließt, alles das wirkte stark auf den Künstler. Erfahrene Frauen kennen die Macht eines solchen Augenblicks. Sie ernten dann sozusagen das Grummet der Schäferstunde.
    »Schau, Stanislaus«, scherzte Valerie, »du kannst noch immer kein Korsett schnüren! Barbar! Wahrhaftig, da schlägt es zehn Uhr!«
    In dem Moment hob ein böswilliger Dienstbote geschickt von außen mit der Klinge eines Messers den Haken aus, auf dem die Sicherheit des Liebespaares beruhte. Die Tür ließ sich nunmehr ohne Hindernis öffnen und führte das pikante Genrebild a la Gavarni vor.
    »Bitte, hier, gnädige Frau!« sagte das Dienstmädchen. Cydalise trat in das Zimmer, Montes nach ihr.
    »Aber da ist ja jemand! Verzeihen die Herrschaften!« sagte Cydalise erschrocken.
    »Was sehe ich? Das ist ja Valerie!« rief der Marquis und warf die Tür heftig hinter sich zu.
    Frau Marneffe war allzu bestürzt, als daß sie sich verstellen konnte. Sie sank in einen Lehnstuhl am Kamin. Tränen traten ihr in die Augen und verschwanden sofort wieder. Sie blickte den Brasilianer an, dann Cydalise, und brach in ein krampfhaftes Lachen aus. Die hochmütige Gebärde der beleidigten Frau ließ ihre

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