Tante Lisbeth (German Edition)
Geliebten ihrer Tante.
Die Blicke, die beide nun in Wirklichkeit tauschten, kann man sich vorstellen. Es waren Flammenblicke. Tugendhafte Verliebte kennen keine Verstellung.
»Donnerwetter, was machst du so lange hier drinnen?« fragte der Vater seine Tochter.
»Ich habe eben meine ersparten zwölf hundert Francs verausgabt, Vater. Komm, wir wollen gehen!«
Sie hängte sich bei ihrem Vater ein. Er wiederholte:
»Zwölfhundert Francs!«
»Sogar dreizehnhundert! Das Fehlende wirst du mir doch leihen!«
»Und wofür hast du diese Summe ausgegeben? In dem Laden da?«
»Ja, ja, dort«, entgegnete sie glücklich. »Wenn ich dabei einen Mann gefunden habe, so ist das doch nicht zuviel, nicht?«
»Einen Mann, Hortense? In dem Laden da?«
»Höre zu, Väterchen! Würdest du mir verbieten, einen großen Künstler zu heiraten?«
»Gewiß nicht, Kindchen«, erwiderte er. »Große Künstler sind heutzutage ungekrönte Fürsten. Ruhm und Geld, das sind die beiden sozialen Angelpunkte ... das heißt, nach der Ehre«, fügte er mit ein wenig Heuchelei hinzu.
»Nun ja«, meinte Hortense, »und wie denkst du über die plastische Kunst?«
»Die Bildhauerei ist so eine Sache!« gab er kopfschüttelnd zur Antwort. »Man braucht da große Protektion, ganz abgesehen von einem großen Können, denn die Regierung ist die alleinige Abnehmerin. Das ist eine Kunst ohne Absatzmöglichkeit, in unserer Zeit, wo es keine Monumentalität mehr gibt. Man kauft nur kleine Gemälde, kleine Skulpturen. Es gibt dementsprechend nur Kleinkünste.«
»Sollte das ein großer Künstler nicht überwinden?« warf Hortense ein.
»Das wäre des Rätsels Lösung, gewiß!«
»Ein Künstler, der unterstützt würde?«
»Desto besser!«
»Ein Edelmann?«
»Ist er das?«
»Er ist Graf!«
»Dabei Bildhauer?«
»Ja. Er hat kein Vermögen.«
»Rechnet er etwa auf das von Fräulein Hulot?« fragte der Baron scherzend, wobei er einen forschenden Blick in die Augen seiner Tochter warf.
»Dieser große Künstler, Graf und Bildhauer hat Ihre Tochter, Herr Baron, soeben zum ersten Male in seinem Leben gesehen, und zwar ganze fünf Minuten lang!« erwiderte Hortense mit ruhigster Miene. »Weißt du, Väterchen, während du gestern im Abgeordnetenhause warst, hatte Mutter einen Ohnmachtsanfall. Dieser Anfall, den sie auf ihre schwachen Nerven schiebt, hatte seine Ursache in ihrer Sorge darüber, daß ich noch nicht verheiratet bin. Sie hat mir nämlich gesagt: um mich an den Mann zu bringen.«
»Diesen Ausdruck hat sie in ihrer Liebe zu dir unmöglich gebraucht!« unterbrach sie ihr Vater.
»Ein bißchen parlamentarischer hat sie sich schon ausgedrückt, gewiß!« entgegnete Hortense vergnügt. »Das Wort hat sie nicht angewandt, nein, nein! Aber ich weiß sehr wohl, daß eine heiratsfähige Tochter, die sich nicht verheiratet, ein schweres Kreuz für brave Eltern ist. Mutter glaubt: wenn ein Mann mit Energie und Talent käme, dem dreißigtausend Francs Mitgift genügten, daß wir dann alle miteinander glücklich wären. Kurzum, sie hat es für angebracht gehalten, mich mit meinen bescheidenen Zukunftsaussichten vertraut zu machen, damit ich mich nicht zu sehr in goldenen Träumen wiege.«
»Deine Mutter ist eine gute, edle und ausgezeichnete Frau!« sagte der Baron tieftraurig und doch recht glücklich über das Vertrauen seines Kindes.
»Mutter hat mir gestern erzählt«, fuhr Hortense fort, »daß sie dich beauftragt habe, ihre Brillanten zu verkaufen, um mir eine Mitgift zu verschaffen; aber ich möchte lieber, sie behielte ihren Schmuck. Ich werde schon einen Mann finden. Ich glaube, ich habe ihn bereits gefunden, den Bräutigam, der dem Wunsche Mamas entspricht ...«
»Hier? In den paar Minuten?«
»Gewiß, Vater. Sieh, das Gute liegt so nah!« sagte sie schelmisch.
»Gut, mein Kindchen, wir werden ja sehen. Verheimliche mir nur nichts!« Unter einem scherzhaften Tone verbarg er seine innere Unruhe.
Unter dem Siegel der Verschwiegenheit berichtete ihm nun Hortense das Ergebnis gewisser Gespräche mit Tante Lisbeth. Zu Hause angekommen, zeigte sie ihrem Vater das berühmte Petschaft als Beweis von der Richtigkeit ihrer Vermutungen. Der Vater bewunderte insgeheim die große instinktive Mädchenklugheit, indem er sich die Einfachheit des Planes vergegenwärtigte, den die Liebe diesem unschuldigen Mädchen eingegeben hatte.
»Du wirst das Meisterwerk, das ich erworben habe, sogleich sehen. Man wird es jeden Augenblick bringen, und mein lieber
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