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Tante Lisbeth (German Edition)

Tante Lisbeth (German Edition)

Titel: Tante Lisbeth (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Glück schenken, das du mit mir nicht finden kannst. Wenn ich dir dreißigtausend Francs Rente zusammengebracht habe, dann erst sollst du dich verheiraten.«
    »Du bist ein Engel!« entgegnete Stanislaus, sich die Tränen trocknend. »Nie werde ich diese Stunde vergessen.«
    »So hab ich dich nun endlich, so wie ich es mir immer gewünscht habe!« rief sie aus und sah ihn berauscht an.
    Die Eitelkeit im Menschen ist so stark, daß die alte Jungfer an ihren Sieg glaubte. Indem sie ihm Frau Marneffe anbot, hatte sie ihm ein großes Opfer gebracht. Noch nie in ihrem Leben war sie so bewegt. Zum allerersten Male fühlte sie, wie ihr die Freude das Herz durchflutete. Dieses Erlebnis ein zweites Mal zu durchleben, dafür hätte sie ihre Seele dem Teufel verschrieben.
    »Ich bin nicht mehr frei«, begann der Künstler von neuem. »Ich liebe ein Weib, wie es kein zweites gibt. Aber du bist und bleibst immerdar meine zweite Mutter!«
    Der Ausspruch fiel wie eine eisige Lawine in einen brodelnden Krater. Lisbeth setzte sich und betrachtete mit düstern Augen den jungen Mann, sein kluges Gesicht, sein volles Haar, seine edle Schönheit. Alles das hatte ihre niedergedrückten halberstorbenen Triebe erregt. Tränen, die im Entstehen trockneten, füllten ihr die Augen, Sie saß da wie eine der schlanken trauernden Frauen, die die Bildhauer des Mittelalters so gern auf die Grabmäler gesetzt haben.
    »Ich verfluche dich nicht!« rief sie aus, indem sie unvermittelt aufsprang. »Du bist wirklich ein Kind! Gott mag dich schützen!«
    Damit verschwand sie in ihre Stube.
    »Sie ist in mich verliebt«, murmelte Stanislaus vor sich hin, »das arme Ding! Wie wild ihre Worte waren! Sie ist verrückt!«
     
    Am übernächsten Tage, halb fünf Uhr früh, hörte Steinbock, noch im tiefsten Schlummer, an die Tür seiner kleinen Wohnung pochen. Er öffnete eiligst und fand zwei schlechtgekleidete Zivilisten in Begleitung eines Dritten in der Uniform eines Gerichtsvollziehers.
    »Sie sind Graf Stanislaus Steinbock?« fragte der.
    »Jawohl, mein Herr!«
    »Mein Name ist Grasset, Gerichtsvollzieher des Schuldgefängnisses.«
    »Was wollen Sie von mir?«
    »Sie sind verhaftet, Herr Graf! Sie müssen uns nach dem Gefängnis von Clichy folgen. Wollen Sie sich ankleiden! Wir sind rücksichtsvoll, wie Sie sehen. Ich habe keine Schutzleute mitgebracht. Und unten hält eine Droschke.«
    »Sie werden hochfein behandelt!« bemerkte der eine der beiden Zivilisten. »Wir rechnen aber auch auf Ihre Erkenntlichkeit!«
    Steinbock zog sich an und ging mit hinunter, an jedem Arm von einem der Männer geführt. Sobald man in der Droschke war, fuhr der Kutscher ohne weiteres los. Er wußte offenbar schon Bescheid. Eine halbe Stunde später saß Steinbock hinter Schloß und Riegel, ohne irgendwelchen Einspruch erhoben zu haben. So groß war seine Überraschung.
    Um zehn Uhr wurde er in die Gefängniskanzlei geführt, wo er Tante Lisbeth vorfand, die ihm unter einem Strom von Tränen Geld einhändigte, damit er sich besser beköstige und sich eine größere Zelle, in der er arbeiten könne, verschaffe.
    »Mein Liebling«, sagte sie zu ihm, »teile deine Verhaftung niemandem mit! Schreibe keiner Menschenseele davon! Das könnte deine ganze Zukunft vernichten«. Eine derartige Blamage muß man geheimhalten. Ich werde dich bald wieder befreien. Ich bringe das Geld zusammen. Sei unbesorgt! Schreibe mir, was ich dir für Arbeit bringen soll. Du wirst bald wieder frei sein, so wahr ich lebe!«
    »Ach, ich danke dir zum zweiten Male mein Leben!« rief Steinbock. »Ich verlöre mehr als mein Leben, wenn ich in den Ruf eines schlechten Kerls käme!«
    Lisbeth ging voller Freude nach Hause. Durch die Gefangenschaft des Künstlers glaubte sie seine Heirat mit Hortense vereiteln zu können. Sie wollte aussprengen, er sei verheiratet, durch die Bemühungen seiner Frau begnadigt worden und nach Rußland zurückgekehrt. Um ihren Plan auszuführen, begab sie sich um drei Uhr zur Baronin Hulot, obgleich es nicht der Wochentag war, an dem sie dort zu essen pflegte. Sie wollte sich nur an den Qualen weiden, die Hortense erleiden würde, wenn Stanislaus ausblieb.
    »Du kommst zu Tisch, Lisbeth?« fragte die Baronin, die ihre Überraschung zu verbergen suchte.
    »Wie du siehst.«
    »Schön!« sagte Hortense. »Ich werde befehlen, daß man pünktlich ist. Du liebst doch das Warten nicht.«
    Hortense gab ihrer Mutter ein Zeichen, ruhig zu bleiben. Sie hatte den Entschluß gefaßt, dem

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