Tante Lisbeth (German Edition)
willst du mich lieben?«
»Zweifelst du daran, Lisbeth?«
»Wie kalt das klingt! Weißt du, seit der Stunde, da ich dich dem Tode nahe gefunden habe, hast du alle meine Gedanken erfüllt. Indem ich dich rettete, wurdest du der Meine! Niemals habe ich von dem geheimen Bunde zu dir gesprochen, aber mir selber habe ich feierlich gelobt: Er ist mein, ich will ihn glücklich und reich machen! Sag, hab ich dir nicht dein Glück gebracht?«
»Und wie!« entgegnete der Künstler im Gefühle seines stillen Glückes, viel zu naiv, eine List zu wittern.
»Siehst du!« meinte die Lothringerin. In wilder Freude sah sie Stanislaus in die Augen, aus denen ihr eine kindliche Anhänglichkeit entgegenleuchtete, hinter der die Liebe zu Hortense loderte. Die alte Jungfer war nicht scharfsichtig genug. Zum ersten Male in ihrem Leben bekam sie die Glut der Leidenschaft in Männeraugen zu sehen; sie wähnte, diese Glut entzündet zu haben.
»Crevel stellt uns hunderttausend Francs zur Gründung eines Geschäftshauses zur Verfügung, wenn du mich heiraten willst. Er hat famose Einfälle, das gute Dickchen, nicht? Was sagst du dazu?«
Der Künstler ward totenblaß und starrte seine Wohltäterin mit erloschenen Blicken an, wodurch sich alle seine Gedanken verrieten. Er rührte sich nicht.
»Noch nie hat mir jemand so klar und deutlich gesagt, daß ich abscheulich häßlich bin!« Die alte Jungfer lachte grell auf.
»Lisbeth«, erwiderte Steinbock, »meine Wohltäterin wird mir niemals häßlich vorkommen. Ich empfinde für dich die wärmste Zuneigung, aber ich bin noch nicht dreißig Jahre alt und ...«
»Und ich dreiundvierzig!« ergänzte sie. »Meine Kusine, die Baronin Hulot, ist achtundvierzig Jahre alt, und man verliebt sich noch immer rasend in sie. Freilich, sie ist schön, sie ...«
»Fünfzehn Jahre stehen zwischen uns«, fuhr Stanislaus fort. »Was gäbe das für eine Ehe! Zu unser beider Wohl müssen wir das sehr mit in Betracht ziehen. Meine Dankbarkeit wiegt deine Wohltaten sicherlich auf. Und dein Geld wirst du bald zurückbekommen.«
»Mein Geld!« fuhr sie auf. »Oh, du behandelst mich, als sei ich eine herzlose Wucherin!«
»Verzeihe mir!« sagte Stanislaus sanft. »Aber du erwähnst die Geldsache so oft ... Du hast mich einst gerettet. Vernichte mich jetzt nicht!«
»Du willst mich verlassen. Ich sehe es«, sagte sie, vor sich hin nickend. »Sag, woher hast du die Kraft zu dieser Undankbarkeit? Du bist doch sonst eine Pappseele! Hast du kein Vertrauen mehr zu mir? Leuchtet dein guter Stern so stark? Ach, wie manche Nacht habe ich für dich durchgearbeitet! Ich habe dir die Ersparnisse meines ganzen Lebens hingegeben! Vier Jahre lang habe ich mein Brot, das Brot einer armen Handarbeiterin, mit dir geteilt. Alles habe ich dir gegeben, selbst meinen Mut!«
»Lisbeth, hör auf!« rief Stanislaus, vor ihr in die Knie sinkend und ihre Hände ergreifend. »Kein Wort mehr! In drei Tagen will ich reden und dir alles sagen.« Und indem er ihr die Hände küßte, fuhr er fort: »Laß mich! Laß mich glücklich sein! Ich liebe und werde geliebt.«
»Ja doch. Sei glücklich, mein Kind!« gab sie zur Antwort und zog ihn empor. Sie küßte ihn auf die Stirn und auf das Haar in einer Art Raserei wie ein zu Tode Verurteilter an seinem letzten Morgen.
»Ach, du bist das edelste, beste Wesen!« rief der arme Künstler aus. »Du gleichst der, die ich liebe!«
»Ich liebe dich noch immer so, daß es mich um deine Zukunft bangt.« Und mit finsterer Miene fügte sie hinzu: »Judas hat sich erhängt ... Alle Undankbaren finden ein schlimmes Ende. Du verläßt mich. Du wirst nichts Großes mehr schaffen. Ich bin eine alte Jungfer, das weiß ich. In meinen Armen, die dürr sind wie Rebenholz, soll dir die Blüte der Jugend, deine Poesie, wie du sagst, nicht ersticken. Aber sage mir, könnten wir nicht weiter zusammen bleiben, auch wenn wir uns nicht heiraten? Hör auf mich! Ich bin eine Krämerseele. Ich kann dir in zehn Arbeitsjahren ein Vermögen zusammenscharren. Ich bin die verkörperte Sparsamkeit. Hingegen mit einer jungen Frau, die nur ausgeben kann, wirst du nichts sparen; denn du wirst nichts tun als sie glücklich machen. Und Glück stapelt nichts auf als Erinnerungen! Wenn ich von dir träume, liege ich stundenlang unbeweglich da ... Stanislaus, bleibe bei mir! Bedenke, ich bin sehr vernünftig! Du sollst Geliebte haben, hübsche Weiber von der Sorte der Marneffe, die dich übrigens kennenlernen will; sie wird dir das
Weitere Kostenlose Bücher