Tante Lisbeth (German Edition)
geruht. Glaubst du denn, ich änderte mein Benehmen, das bereits zur Regel geworden ist? Dann würde mir kein Mensch auch nur ein Sterbenswörtchen anvertrauen.«
»Weiß ich!« bestätigte Crevel. »Du bist das Ideal einer alten Jungfer! Aber Ausnahmen hat jede Regel. Apropos: hat dir schon irgendwer in der Familie eine Leibrente ausgesetzt?«
»Gott bewahre! Ich habe auch meinen Stolz!« wehrte Lisbeth ab. »Ich will niemandem Geld kosten!«
»Nun, wenn du mir helfen wolltest, mich zu rächen«, fuhr der ehemalige Kaufmann fort, »würde ich dir eine Rente von zehntausend Francs auf Lebenszeit aussetzen. Sage mir, verehrte Lisbeth, wer die Nachfolgerin von Josepha ist – und du hast dir deine Miete, dein Frühstück und deinen guten Kaffee, den du so liebst, auf immerdar gesichert! Du kannst dir dann sogar Mokka leisten, echten ... Na? Echter Mokka ist nicht zu verachten!«
»Ich pfeife auf eine Leibrente, mag sie zehntausend hoch sein oder fünfhundert! Keine Klatschbase sein ist mir viel lieber. Weißt du, mein lieber Crevel, der Baron ist sehr gut zu mir. Er will mir meine Miete ...«
»Ja, aber auf wie lange?« unterbrach sie Crevel. »Verlaß dich nur darauf! Wo will er denn das Geld hernehmen?« Er schrie förmlich.
»Das weiß ich natürlich nicht. Indessen, er gibt mehr als dreißigtausend Francs für die Einrichtung des kleinen Frauchens aus ...«
»Frauchen? Eine Dame! Also eine aus der Gesellschaft? Der Schwerenöter! Dem glückt es! Immer wieder ihm!«
»Ja, eine verheiratete, eine recht schicke Frau!« bestätigte Lisbeth.
»Wirklich?« rief Crevel. Bei dem Zauberwort »recht schicke Frau« riß er seine muntern Augen lüstern auf.
»Aber ja«, sagte Lisbeth, »begabt, musikalisch, dreiundzwanzig Jahre alt, mit hübschem treuherzigem Gesicht, strahlend weißer Haut und tadellosen Zähnen, Augen wie Sterne und den niedlichsten Füßen. Solche gibt es gar nicht wieder ...«
»Und die Ohren?« fragte Crevel, den dieser Pedigree so in Ekstase versetzte, daß er den leisen Spott der alten Jungfer nicht heraushörte.
»Wundervoll!«
»Auch kleine Hände?«
»Ich sage dir, mit einem Worte: ein Juwel von einer Frau! Anständig, schamhaft, feinfühlig! Ein Engel, eine schöne Seele. Und Rasse! Ihr Vater war Marschall von Frankreich.«
»Was? Marschall von Frankreich!« Crevel machte eine Drehung um sich selbst. »Sapperlot! Der Teufel soll mich holen! O der Schuft! Verzeih mir, beste Lisbeth, ich schnappe über! Ich glaube, zehntausend Francs zahle ich ...«
»Aber ich sage ja, es handelt sich um eine anständige, ehrbare Frau. Der Baron versteht seinen Kram.«
»Er besitzt keinen roten Heller, versichere ich dir.«
»Er hat ihrem Mann vorwärts geholfen ...«
»Inwiefern?«
»Vorläufig ist er Kanzleisekretär geworden. Nun wird er schon ein Auge zudrücken. Zur Ehrenlegion ist er auch vorgeschlagen.«
»Die Regierung sollte vorsichtig sein und auf die Rücksicht nehmen, die bereits dekoriert sind, und die Orden nicht verschleudern!« meinte Crevel im Tone des pikierten Patrioten. »Aber was hat die Frau nur an ihm, diesem alten Gecken?« begann er wiederum. »Ich denke doch, soviel wie er stelle ich auch noch vor.« Er besah sich im Spiegel, wobei er seine Attitüde einnahm. »Heloise, eine kleine Freundin von mir, hat mir oft gesagt in Momenten, wo die Frauen nicht lügen, ich sei ein Prachtkerl!«
»Ja, ja«, meinte Lisbeth, »die Frauen lieben die Dicken. Das sind fast alle gute Kerle. Und wenn ich zwischen dir und dem Baron wählen sollte, würde ich dich nehmen. Hulot ist ein schöner und geistreicher Mensch, ein Weltmann ... aber du, du bist solid und dann ... du hast es noch viel dicker hinter den Ohren!«
»Unglaublich!« jammerte Crevel. »Eine wie die andere! Selbst die Betschwestern lieben die Windhunde.« Übermütig packte er Tante Lisbeth um die Taille.
Sie fuhr fort:
»Aber das kommt hier gar nicht in Frage. Du kannst dir denken, daß eine Frau, die sich so günstig steht, ihren Protektor nicht um einen Pappenstiel hintergehen wird. Das heißt: hundert und etliche tausend Francs kostet die Sache. In zwei Jahren wäre der Mann der Dame nämlich Kanzleidirektor. Die Armut ist die Verführerin des armen Engels.«
Crevel lief wie ein Wilder im Zimmer auf und ab.
»Hat er sie denn schon?« fragte er nach einer Weile, während seine von Lisbeth angestachelte Begehrlichkeit immer toller wurde.
»Das mußt du selber entscheiden«, entgegnete sie. »Ich glaube, noch nicht,
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