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Tante Lisbeth (German Edition)

Tante Lisbeth (German Edition)

Titel: Tante Lisbeth (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Diener zu befehlen, den Grafen nicht vorzulassen, falls er käme. Aber der Diener war ausgegangen, und Hortense war gezwungen, den Auftrag dem Stubenmädchen zu übergeben. Das Mädchen eilte in ihr Zimmer hinauf, um sich etwas zu arbeiten zu holen, da es im Vorzimmer bleiben sollte.
    »Wißt ihr das Neueste von meinem Geliebten?« fragte Tante Lisbeth, als Hortense wieder ins Zimmer trat. »Von dem sprecht ihr ja gar nicht mehr?«
    »Ach ja, was macht er denn?« meinte Hortense. »Er ist ja nun berühmt. Du kannst dich freuen. Man spricht von nichts als von Stanislaus Steinbock.« Die letzten Worte flüsterte sie Lisbeth ins Ohr.
    »Ja, viel zuviel!« gab Lisbeth laut zurück. »Der gute Junge ist nicht mehr zu bändigen. Wenn es sich nur darum handelte, ihn den Freuden von Paris zu entreißen, das wollte ich schon noch fertigbringen. Aber der Kaiser Nikolaus soll ihn begnadigt haben. Er will sich einen solchen Künstler nicht entgehen lassen ...«
    »Was du nicht sagst!« bemerkte die Baronin.
    »Woher weißt du das?« fügte Hortense hinzu, die einen Krampf am Herzen verspürte.
    Gefühlsroh erwiderte die alte Jungfer:
    »Jemand, dem er durch das heiligste Band angehört, hat es ihm gestern geschrieben, nämlich seine Frau. Er ist im Begriff abzureisen. Er ist schön dumm, daß er Rußlands wegen Frankreich verläßt ...«
    Mit einem Blick auf die Mutter sank Hortense in sich zusammen. Die Baronin vermochte die ohnmächtig Werdende gerade noch in die Arme zu nehmen. Sie war bleich wie der Spitzenschal geworden, den sie trug.
    »Lisbeth!« schrie die Baronin auf. »Du hast mir mein Kind gemordet! Du bist nur zu unserm Unglück auf die Welt gekommen!«
    »Ach was! Was kann ich denn dafür, Adeline?« fragte Lisbeth, indem sie aufstand und eine drohende Haltung annahm, was der Baronin in ihrer Aufregung entging.
    »Dann verzeihe!« meinte sie. »Läute einmal!« Sie versuchte ihre Tochter aufzurichten.
    In dem Augenblick öffnete sich die Tür. Adeline und Lisbeth wandten zugleich ihren Blick hin und sahen Stanislaus Steinbock. In Abwesenheit des Stubenmädchens hatte ihm die Köchin geöffnet.
    »Hortense!« rief er aus und stürzte auf die Gruppe der drei Frauen zu. Unter den Augen der Mutter küßte er seine Braut auf die Stirn, in so keuscher Weise, daß die Baronin still zusah. Ein besseres Mittel gegen die Ohnmacht gibt es auf der ganzen Welt nicht. Hortense schlug die Augen auf, erkannte den Grafen und bekam ihre Lebensfarbe wieder. Einen Augenblick später fühlte sie sich wieder ganz munter.
    »Das ist also dein Geheimnis!« sagte Lisbeth lächelnd zu Stanislaus. Sie gab sich den Anschein, als ginge ihr erst angesichts dieses Auftritts die Wahrheit auf.
    »Du hast mir also meinen Geliebten abspenstig gemacht, Hortense?« fragte sie, indem sie das junge Mädchen nach dem Garten führte.
    Hortense begann ihr den Roman ihrer Liebe in treuherzigen Worten zu erzählen. Ihre Eltern hätten in der Überzeugung, daß Lisbeth den Künstler doch nicht heirate, seine Besuche gestattet. Nur schrieb sie den Ankauf der Gruppe und das Dazukommen des Künstlers einfach dem Zufall zu. Er hätte den Namen des ersten Käufers eines seiner Werke wissen wollen.
    Steinbock näherte sich alsbald den beiden Damen und dankte dem alten Fräulein in überschwenglicher Weise für die so prompte Wiederbefreiung. Lisbeth antwortete jesuitisch, der Gläubiger habe keine feste Zusicherung gegeben; sie habe die Entlassung aus der Haft erst für morgen erhofft, aber der Darleiher habe sich wahrscheinlich von selber eines Besseren besonnen. Dabei tat die alte Jungfer so, als sei sie überglücklich.
    Sie beglückwünschte Stanislaus.
    »Du böser Junge«, sagte sie zu ihm in Gegenwart von Hortense und ihrer Mutter, »wenn du mir vorgestern abend gebeichtet hättest, daß du unsere Hortense liebst und daß sie dich wiederliebt, dann hättest du mir viele Tränen erspart. Ich glaubte, du wolltest deine alte Freundin und Beraterin verlassen, während du doch in Wirklichkeit ein Vetter von mir werden willst. Fortan werden uns diese allerdings nicht allzu starken Bande verbinden; sie sollen aber der Liebe genügen, die ich dir geweiht habe.«
    Dabei küßte sie Stanislaus auf die Stirn. Hortense fiel ihr um den Hals und brach in Tränen aus.
    »Ich verdanke dir mein Glück!« schluchzte sie. »Das werde ich nie vergessen.«
    »Tante Lisbeth!« fügte die Baronin hinzu, vom Freudentaumel ergriffen und glücklich, daß alles ein so gutes Ende nahm.

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