Tante Lisbeth (German Edition)
zwar etwas Dummes angerichtet, denn Tante Lisbeth ist unwohl und hat das ganze Haus in Aufruhr gebracht...«
»Fehlt ihr ernstlich etwas?« fragte Crevel ärgerlich.
»Man hat es gesagt«, warf Marneffe mit der Gleichgültigkeit eines Mannes hin, für den die Frauen nicht mehr vorhanden sind.
Crevel blickte auf die Standuhr. Nach seiner Rechnung hatte der Baron vierzig Minuten bei Tante Lisbeth verweilt. Hulots freudiges Gesicht zeugte schwer gegen Hektor, Lisbeth und Valerie.
»Der armen Lisbeth geht es gar nicht gut. Ich war eben bei ihr«, berichtete Hulot.
»Leid anderer ist deine Lust, lieber Freund!« sagte Crevel bissig. »Du bist nämlich mit einem Gesicht voll eitel Freude wiedergekommen. Lisbeth liegt wohl im Sterben? Deine Tochter soll sie ja beerben. Man kennt dich nicht wieder! Mit der Miene des Mohren von Venedig bist du gegangen, und mit der eines Saint-Preux kehrst du wieder! Da möchte ich erst einmal das Gesicht von Frau Marneffe sehen ...«
»Was meinen Sie mit Ihren Worten?« fragte Marneffe den Bürgermeister, indem er seine Karten zusammenschob und vor sich auf den Tisch legte.
Die erloschenen Augen dieses mit siebenundvierzig Jahren abgelebten Mannes flammten auf, und etwas wie Farbe belebte seine schlaffen blutlosen Wangen. Er öffnete die schwarzen Lippen seines zahnlosen Mundes, aus dem weißer Schaum trat. Die Wut des kraftlosen Mannes, dessen Leben nur noch an einem Faden hing, erschreckte Crevel.
»Ich habe gesagt«, entgegnete Crevel, »ich möchte einmal Frau Marneffes Gesicht sehen. Ich habe um so mehr Anlaß, da das Ihrige in dem Augenblick ganz abscheulich aussieht. Auf Ehrenwort, verehrter Marneffe, Sie sind toll häßlich!«
»Wissen Sie, daß Sie unhöflich sind?«
»Ein Mensch, der mir in vierzig Minuten dreißig Francs abgewinnt, kommt mir niemals schön vor«, lenkte Crevel ein.
»Ach so!« bemerkte Marneffe. »Sie hätten mich vor siebzehn Jahren sehen sollen!«
»Waren Sie da ein hübscher Kerl?«
»Das war ja mein Unglück! Hätte ich ausgesehen wie Sie, wäre ich heute Bürgermeister und wer weiß was.« »Jawohl«, spottete Crevel, »Sie sind zu tätig gewesen! Und von den beiden Metallen, die Merkur den Menschen spendet, haben Sie das falsche erwischt, das aus der Apotheke!«
Er lachte laut auf. Wenn sich Marneffe auch ärgern konnte, wenn man seiner Ehre zu nahe trat, derbe und gemeine Stammtischwitze nahm er nie übel. Das war die Scheidemünze in der Unterhaltung zwischen ihm und Crevel.
»Es ist wahr, Frau Venus ist mir schlecht bekommen. Meinetwegen! Kurz, aber gründlich! Das ist mein Wahlspruch.«
»Lang und lustig – ist mir lieber!« sagte Crevel.
Frau Marneffe trat ein. Als sie ihren Mann mit Crevel am Spieltisch, den Baron daneben und alle drei allein sah, erkannte sie lediglich aus den Mienen des ehrsamen Bürgermeisters die Lage.
Sofort wußte sie, was zu tun war.
»Marneffe, mein Liebling!« sagte sie, indem sie sich auf ihres Mannes Schulter stützte und ihm mit ihren hübschen Fingern durch das häßlich graue Haar fuhr, das den Kopf bei weitem nicht mehr deckte. »Es ist recht spät für dich! Du solltest schlafen gehen. Du weißt, morgen mußt du einnehmen. Der Doktor hat es verordnet. Um sieben Uhr wird dir Regina die Kräutersuppe bringen. Wenn dir dein Leben lieb ist, so hör auf zu spielen.«
»Noch fünf Points!« schlug Marneffe vor.
»Einverstanden! Zwei davon habe ich bereits!« bemerkte Crevel.
»Wie lange wird das dauern?« fragte Valerie.
»Zehn Minuten«, gab ihr Mann zur Antwort.
»Es ist bereits elf Uhr«, sagte Valerie. »Herr Crevel, Sie scheinen es auf das Leben meines Mannes abgesehen zu haben! Beeilen Sie sich wenigstens!«
Der doppelte Sinn ihrer Worte belustigte Crevel und Hulot und selbst Marneffe. Valerie begann mit Hektor zu plaudern.
»Geh, Liebster!« flüsterte ihm Valerie ins Ohr. »Geh die Rue Vanneau hin und her. Wenn du Crevel fortgehen siehst, kommst du zurück.«
»Ich möchte lieber den Salon verlassen und durch dein Ankleidezimmer in dein Zimmer gehen. Du könntest Regina sagen, daß sie mir die Tür aufschließt.«
»Regina pflegt Tante Lisbeth.«
»So! Da werde ich einmal hinaufgehen.«
Valerie war in großer Gefahr. Sie sah eine Auseinandersetzung mit Crevel voraus. Hulot durfte nicht in ihrem Zimmer sein, wo er alles hören konnte. Und oben wartete ja der Brasilianer.
»Tatsächlich, wenn ihr Männer euch einmal irgendwas eingebildet habt, dann rennt ihr mit dem Kopf gegen die Wand«,
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