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Tante Lisbeth (German Edition)

Tante Lisbeth (German Edition)

Titel: Tante Lisbeth (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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seine Karriere fördern kann, so bin ich es. Mir verdankt er es, daß er jetzt dritter Schreiber beim Notar ist und daß er seine juristische Ausbildung vollenden kann.«
    »So ist es, Herr Baron, und darum kann sich der Herr Baron auf unsere Dankbarkeit verlassen. Jeden Tag bete ich zum lieben Gott um das Wohlergehen des Herrn Baron.«
    »Schon gut, liebe Frau«, meinte Hulot, »nicht so viel Worte! Taten beweisen!«
    »Was soll ich tun, Herr Baron?« fragte die Frau.
    »Heute abend ist ein Herr in einem Wagen gekommen. Kennen Sie ihn?«
    Frau Olivier hatte den Brasilianer sehr wohl wiedererkannt. Wie hätte sie ihn auch vergessen können? Hatte er ihr doch ehedem in der Rue du Doyenne jedesmal beim Gehen aus dem Hause einen Taler in die Hand gedrückt. Es war meist frühmorgens gewesen. Hätte sich Hulot an ihren Mann gewandt, so hätte er vielleicht alles erfahren. Aber er schlief bereits. In den unteren Volksklassen ist die Frau dem Manne nicht nur geistig überlegen, sondern sie beherrscht ihn fast immer. Schon seit langem hatte Frau Olivier für den möglichen Fall eines Zusammenstoßes ihrer beiden Wohltäter ihren Entschluß gefaßt. Sie hielt Frau Marneffe für die stärkere der beiden Mächte.
    »Ob ich ihn kenne?« fragte sie. »Bei Gott, ich habe ihn niemals gesehen!«
    »Was sagen Sie? Den Vetter der Frau Marneffe? Hat er sie denn nie besucht, als sie noch in der Rue du Doyenne wohnte?«
    »Ach, der Vetter von Frau Marneffe!« rief Frau Olivier. »Ja, vielleicht ist er da schon einmal dagewesen. Aber wiedererkannt habe ich ihn nicht. Das nächste Mal will ich Achtung geben, Herr Baron!«
    »Wenn er herunterkommt...«, sagte Hulot.
    »Er ist schon fort!« unterbrach sie ihn. Mit einem Male war ihr alles klar. »Der Wagen steht ja auch nicht mehr da.«
    »Haben Sie ihn fortgehen sehen?«
    »Ganz gewiß! Er rief dem Kutscher zu: Nach der Gesandtschaft!«
    Die sichere Art der Frau entlockte dem Baron einen Seufzer der Erleichterung. Er drückte ihr die Hand.
    »Ich danke Ihnen, beste Frau Olivier! Ich möchte noch etwas wissen. Sagen Sie einmal: Was ist das mit Herrn Crevel?«
    »Herr Crevel? Was sollte über ihn zu sagen sein, Herr Baron? Ich verstehe das nicht.«
    »Passen Sie nur auf! Er hat etwas mit Frau Marneffe ...«
    »Gott bewahre, Herr Baron! Ganz unmöglich!«
    Frau Olivier stemmte die Hände in die Hüften.
    »Er hat eine Liebelei mit Frau Marneffe!« wiederholte der Baron herrisch. »Wie stehen sie sich? Ich weiß es nicht, aber ich will es wissen, und zwar durch Sie! Wenn Sie mich dieser Intrige auf die Spur bringen, wird Ihr Junge Notar!«
    »Herr Baron, Sie sind sozusagen eifersüchtig«, sagte Frau Olivier. »Die gnädige Frau liebt Sie und keinen andern. Ihr Kammermädchen weiß es genau. Ich sage Ihnen, Sie sind der glücklichste Mensch von der Welt, wenn Sie wissen, was die gnädige Frau wert ist. Eine unvergleichliche Frau! Alle Tage steht sie um zehn Uhr auf; eine Stunde braucht sie zum Anziehen. Um eins geht sie in den Tuilerien vor aller Welt spazieren. Um vier Uhr kehrt sie immer zurück, zu der Zeit, wo Sie kommen. Das geht alles Tag für Tag nach dem Glockenschlage. Sie hat keine Geheimnisse vor ihrem Kammermädchen, und die hat keine vor mir. Sie sehen also: wenn die gnädige Frau mit Herrn Crevel was hätte, müßten wir es wissen!«
    Strahlenden Gesichts stieg der Baron wieder hinauf in die Marneffesche Wohnung, überzeugt, der einzige Geliebte der schändlichen Dirne, der ebenso schönen und trügerischen Sirene zu sein.
    Crevel und Marneffe begannen eben ihre zweite Partie. Crevel verlor. Sehr natürlich, denn er war nicht bei der Sache! Marneffe, der den Grund von Crevels Zerstreutheit wußte, zog unbedenklich seinen Nutzen daraus, indem er sich die abgehobenen Karten ansah, Karten beiseite schob und dem Gegner in die Karten schielte. Auf die Weise spielte er mit Erfolg und hatte dem Bürgermeister bereits dreißig Francs abgenommen, als der Baron wieder eintrat.
    »Ihr seid ja allein!« sagte Hulot, erstaunt, niemanden weiter vorzufinden. »Wo sind die anderen?«
    »Deine gute Laune hat sie von dannen gejagt!« meinte Crevel.
    »Sie meinen wohl die Ankunft des Vetters meiner Frau?« bemerkte Marneffe. »Die Damen und Herren haben geglaubt, Valerie und Heinrich hätten sich viel zu erzählen, weil sie sich drei Jahre nicht gesehen haben, und so sind sie rücksichtsvoll allesamt gegangen. Wenn ich zur Stelle gewesen wäre, hätte ich niemanden weggelassen. Ich hätte damit

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