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Tanz auf Glas

Tanz auf Glas

Titel: Tanz auf Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ka Hancock
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schockiert über meine eigene Zudringlichkeit, aber dennoch irgendwie sicher, dass ich diesem Mann solch eine Frage stellen konnte.
    Er zögerte keinen Augenblick. »Oh, natürlich.«
    »Wirklich? Wie sieht es in Ihrer Vorstellung aus?«
    Darüber musste er offenbar kurz nachdenken. »Perfekt. Unbeschreiblich schön. Wir sind von allen Menschen umgeben, die uns etwas bedeuten. Und vollkommen gesund«, fügte er betont hinzu.
    »Das wäre schön, nicht?«
    Er musterte mich einen Moment lang und fragte dann: »Glauben
Sie
denn an ein Leben nach dem Tod, Lucy?«
    Ich überlegte. »Als ich ein kleines Mädchen war, hat mein Vater mir alles über den Tod erzählt. Eines Nachts konnte ich nicht schlafen, und er hat mir drei Geheimnisse verraten, damit ich keine Angst mehr zu haben brauchte. Er hat gesagt, dass der Tod nicht das Ende ist, dass er nicht weh tut und dass man, wenn man ihn nicht fürchtet, in gewisser Weise vorgewarnt sein kann. Diese Worte trage ich schon mein Leben lang wie einen Talisman mit mir herum.«
    »Das hört sich an, als hätten Sie einen wunderbaren Vater gehabt.«
    Ich lächelte und sprach erst weiter, als ich sicher war, dass ich nicht wieder weinen würde. »Nur ein paar Tage nach dieser Unterhaltung ist er ums Leben gekommen. Es war, als hätte er es gewusst und mich wissen lassen – und ich habe tatsächlich die Erfahrung gemacht –, dass alles, was er gesagt hatte, die Wahrheit war.«
    »Was für eine erstaunliche Geschichte.«
    Ich nickte. »Das ist sie wohl. Meine Mutter starb, als ich siebzehn war, und da geschah genau das Gleiche. Es war, als würde ich das Geheimnis des Todes kennen.
Ich
besaß das Wissen, den Schlüssel, um das zu überstehen, was man durchmachen muss, wenn ein geliebter Mensch stirbt. Und jetzt glaube ich wohl daran, weil ich ansonsten keinen Sinn in unser aller Leben erkennen kann. Vielleicht habe ich auch nur Angst davor,
nicht
mehr daran zu glauben, weil mir diese Gewissheit solch ein Trost ist. Ich weiß es nicht.«
    Er nickte nachdenklich. »Ich glaube, es ist die Trennung, die uns am meisten Angst macht.«
    »Das glaube ich auch.«
    Ich wollte Thomas Worthington von dem Krebs erzählen, der sich ungehindert durch meinen Körper fraß. Ich wollte ihm mein ständiges Husten erklären, doch irgendwie erschien mir die Stimmung zu weich, zu zart für diese harte Realität, also ließ ich es sein. Es kam mir so vor, als sei das einfach nicht nötig.
    Als wir in Honolulu landeten, hätte ich ihn am liebsten umarmt, weil ich nicht wusste, wie ich ihm sonst meinen Dank für seine Güte hätte ausdrücken können. Doch auch das tat ich nicht. Ich bemerkte nur spaßeshalber, dass er es wahrscheinlich bedauerte, sich so freundlich vorgestellt zu haben, weil er sich damit diese lange Unterhaltung eingehandelt hatte.
    Da sah Thomas Worthington mich mit so feierlichem Ernst an, dass ich beinahe erschrak. »Ich bin sehr froh, dass ich neben Ihnen gesessen habe, Lucy.« Er lächelte. »Ich bin lange genug auf der Welt, um zu wissen, dass es keine Zufälle gibt. Ich reise viel herum. Seien Sie nicht überrascht, wenn ich eines Tages in der Midlothian Highschool auftauche, nur um mal zu hören, wie es Ihnen geht.« Er reichte mir seine Visitenkarte. »Falls Sie unsere Unterhaltung je fortsetzen möchten, Lucy, rufen Sie mich an.«
    Gerührt nahm ich die Karte und dankte ihm. Als er sein Handy zückte, verabschiedete ich mich von ihm und ging zum Ticketschalter, um meinen Rückflug umzubuchen.
    Der früheste verfügbare Flug ging in zwei Tagen, also fuhr ich mit dem Shuttlebus zum Hyatt Regency, wo ich ein Zimmer reserviert hatte. Als Erstes rief ich im Krankenhaus an, um mich nach Mickey zu erkundigen. Ich wollte mich nur vergewissern, dass er außer Gefahr war. Die Nachtschwester sagte, es ginge ihm etwas besser, er werde aber immer noch wegen Suizidgefahr überwacht. Alles in allem war er wohl so sicher wie nur irgendwie möglich. Ich duschte, bestellte mir ein Truthahn-Sandwich und schlief beinahe ein, während ich darauf wartete. Als mich der erbetene Weckruf am nächsten Morgen aus dem Schlaf riss, hatte ich von einem Mann und einer Frau geträumt. Beide waren etwa Mitte dreißig, der Mann schlank und drahtig. Er trug eine Uniform, und sein Gesicht kam mir irgendwie bekannt vor. Die Frau war klein und zierlich, und ich hatte den Eindruck, dass sie geweint hatte. Sie hatten zwei kleine Mädchen bei sich, eines noch ein Säugling. Das Baby hatte das Gesicht meiner Mutter.

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