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Tanz auf Glas

Tanz auf Glas

Titel: Tanz auf Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ka Hancock
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Als ich aufwachte, verflogen die Bilder, bis ich mich nur noch an den Mann in der Uniform erinnerte. Ich hatte das starke Gefühl, dass er mein Großvater war. Und dass ich gerade jetzt von ihm träumte, konnte kein Zufall sein.
    Ich rief an der Rezeption an und ließ mir einen Platz bei einer Sightseeing-Tour am selben Vormittag reservieren. Diese Rundfahrt hätte ich zu gern mit Mickey gemacht. Dann rief ich im Edgemont an. Peony sagte, Mickey habe sich schon ein wenig beruhigt – seine extreme Reizbarkeit flaute ab, was bedeutete, dass er auf eine Depression zusteuerte. Er sei gerade in einer Sitzung mit Gleason, also bat ich sie, ihm nur auszurichten, dass ich angerufen hatte und mich wieder melden würde. Als ich auflegte, vermisste ich ihn fürchterlich.
     
    Ich weiß nicht recht, was ich von meinem Besichtigungsausflug nach Pearl Harbor erwartet hatte. Ich war mit dem Wissen aufgewachsen, dass mein Großvater auf der
USS
West Virginia
umgekommen war. Aber er war nur ein Gesicht in einem Fotoalbum, das nie irgendwelche besonderen Gefühle in mir wachgerufen hatte – bis jetzt. Ich ließ mich auf meinem Plastikstuhl auf einer Fähre namens
Adventurer V
nieder und merkte, wie nahe meine Gefühle schon an die Oberfläche gestiegen waren. Der lebendige Vortrag über jenen Morgen im Dezember 1941 , an dem die japanischen Flieger über unsere nichtsahnende Pazifikflotte hereingebrochen waren, machte mich fassungslos. Gebannt hörte ich zu, während sich Chaos und Gemetzel vor meinem inneren Auge abspielten, ganz besonders, als die
West Virginia
erwähnt wurde.
    Und ich dachte an ihn. William Dean Butler, sechsundzwanzig Jahre alt. Was hatte er gerade gemacht? Was war sein erster Gedanke, als er begriff, was um ihn herum geschah? Dachte er an seine geliebte Frau zu Hause in Massachusetts mit ihren beiden kleinen Mädchen – meiner Mom und Tante Gwen? Spürte meine Großmutter plötzlich einen Stich im Herzen, als er seinen letzten Atemzug tat? Er war nur sechsundzwanzig Jahre alt geworden. Wenn alles aus einem bestimmten Grund geschah, was sollte dann der Grund dafür sein?
    Die Gedenkstätte, über der
USS
Arizona
errichtet, war unheimlich und ernüchternd. Ich kaufte ein Buch mit den Namen aller eintausendeinhundert Männer, für die das riesige Schiff zum Grab geworden war. Jeder Einzelne von ihnen hatte ein Leben gehabt, eine Geschichte, Träume. Es erschien mir unbegreiflich, dass für sie alles einfach
vorbei
war. Urplötzlich tot, mitten im Satz, in einem Atemzug, einem Gedanken.
    Ich konnte mir nicht vorstellen,
vorbei
zu sein. Es war für mich undenkbar, Mickey nie wieder im Arm zu halten, seine Hände in meinem Haar zu spüren, seine Lippen auf meinen. Ich konnte mir nicht vorstellen, nie wieder mit meinen Schwestern zu lachen oder den Brinley Loop entlangzuspazieren, den ich blind hätte beschreiben können. Und ich konnte mir nicht vorstellen, das kleine Mädchen in mir nie kennenzulernen. Ihm nicht die Tränen zu trocknen, aufgeschrammte Knie zu verarzten, es an seinem ersten Schultag zu fotografieren, und am Tag seiner Hochzeit. An all dieses
Leben
zu denken, das ohne mich weitergehen würde, war eine Qual.
    Der Tod ist nicht das Ende,
hörte ich meinen Vater sagen.
    »Nicht das Ende«, hauchte ich. Es musste wahr sein. Ich musste daran glauben können. Unser Leben hatte doch gewiss einen tieferen Sinn, als eine Nachwelt aufzubauen, die wir nie kennenlernen würden. Das Leben musste doch in irgendeiner Form weitergehen – denn wäre es ansonsten nicht vollkommen sinnlos, dass ein sechsundzwanzigjähriger Ehemann und Vater zum Opfer eines japanischen Bomberpiloten geworden war? Dass eine vierunddreißigjährige Schwangere an Krebs starb? Noch während ich diese Fragen stellte, fühlte ich eine tröstende Hand auf meinem Herzen und hörte die beruhigenden Worte meines Vaters.
    Dieser stille Trost war das beste Geburtstagsgeschenk.

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    24
    9 . September 2011
    I ch habe es für sie getan. Ich sollte das in allen Einzelheiten aufschreiben, damit sie es erfährt, aber aufrecht zu sitzen, einen Stift zu halten und über ein Blatt Papier zu führen, kostet zu viel Kraft, vielleicht mehr, als ich habe. Also liege ich hier, starre die Decke an und frage mich, ob es eine Alternative gegeben hätte. Ich glaube nicht. Jeder muss mit den Werkzeugen arbeiten, die er eben hat, selbst wenn sie kaputt sind. Ich habe meine benutzt. Ich musste es tun. Für sie.
     
    Ich rief Gleason vom Flughafen aus an,

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