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Tanz auf Glas

Tanz auf Glas

Titel: Tanz auf Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ka Hancock
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Wasser, aber er schaffte es, dem Mann den Strohhalm in den Mund zu stecken. Jetzt erkannte ich, dass Mickeys Zimmernachbar locker mit einer speziellen Decke fixiert war – die Gurtbänder daran sorgten dafür, dass er nicht aus dem Bett steigen oder herausfallen konnte. Mickey war auch schon auf diese Weise fixiert worden, damit er nicht herumirrte, wenn er psychotisch war.
    Ich beobachtete ihn, meinen schönen Mann, der in keinster Weise dem selbstsicheren Kerl glich, der für seine Witze bezahlt wurde. Er war liebevoll, gütig und leise, und im Augenblick der Retter dieses Fremden.
    Ja, sein Geist war löchrig und verzerrt dank fehlerhafter Gene, ganz zu schweigen von den Medikamenten, die diesem Defekt entgegenwirken sollten. Man konnte seinen Gedanken nicht immer trauen, und sein Verhalten war oft getrieben von seltsamen Mutmaßungen und falsch verarbeiteten Informationen. Doch trotz alledem sah ich einen großherzigen und mitfühlenden Mann vor mir, der einen anderen in seiner wahnhaften Angst zu beruhigen versuchte.
    Er stellte den Becher wieder ab und schloss die zitternden Finger um die hilfesuchend ausgestreckte Hand des Mannes. »Ist schon gut, John. Du bist nicht allein.«
    »Geh nicht weg«, flehte der Mann heiser und zutiefst verzweifelt.
    »Wo soll ich denn hingehen, John? An die Bar? Ich bleibe genau hier sitzen.«
    Mickey blieb noch mehrere lange Minuten bei seinem verängstigten Bettnachbarn, den leeren Blick auf die Wand gerichtet. Gedankenverloren tätschelte er dessen Hand. Nach einer Weile ließ er sie vorsichtig los, legte sie sanft aufs Bett und stand auf, um seinem jetzt reglosen Zimmergenossen die Bettdecke bis unters Kinn hochzuziehen. Dann drehte er sich langsam um.
    Als Mickey mich sah, war er überrascht, als sähe er mich in einem völlig ungewohnten Zusammenhang. Ich blieb, wo ich war, unsicher, ob er mich überhaupt bei sich haben wollte. Doch dann versuchten seine Augen zu lächeln, und er sagte: »Hallo, mein Schatz.«
    »Hallo.«
    Er streckte die Arme aus, und ich ging langsam zu ihm, wurde an den einzigen Ort gezogen, der sich wahrhaftig wie zu Hause anfühlte. Dennoch seufzte ich, weil ich an die Frau in dem Hotelzimmer denken musste.
    »Ich hatte solche Angst, dass du nicht zurückkommst, Lu«, flüsterte er.
    Ich reckte mich auf die Zehenspitzen und sah mir sein Gesicht aus nächster Nähe an. Seine Augen waren traurig, und er sah älter aus als noch vor vier Tagen.
    »Küss mich, Mickey. Und dann erzähl mir, was passiert ist.«
    Er nahm mein Gesicht zwischen seine großen, zitternden Hände und küsste mich voller Hingabe. Dann rückte er von mir ab, nahm meine Hand und führte mich zu seinem Bett. Wir setzten uns. Seine Hände bebten, und ich schlang meine Finger darum.
    »Warum zitterst du so?«
    »Gleason macht sich Sorgen, deshalb bekomme ich seit ein paar Tagen ein älteres Antipsychotikum.«
    »Bist du denn psychotisch?«
    »Ich weiß es nicht. War ich wohl, nehme ich an. Mir kam das alles vor wie ein schlimmer Traum.«
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, also wich ich seinem Blick aus und sah mich um. Dabei fiel mir eine gerahmte Stickerei ins Auge – ein Engel, wunderschön gearbeitet, wenn auch ziemlich verblasst. Ich griff danach. Auf der Plakette auf dem Rahmen stand CHRISTINA DIE WUNDERBARE . Die Stickerei war sehr alt.
    »Muriel und Oscar haben mir das geschenkt. Angeblich ist sie die Schutzpatronin des Wahnsinns. Sie haben das Bild in einem Antiquitätenladen in Greenwich gefunden und sich gedacht, das müsste ich unbedingt haben.« Mickey lachte mühsam. »Schon ziemlich cool. Ich wusste gar nicht, dass es eine Schutzpatronin des Wahnsinns gibt.«
    »Ich auch nicht. Irgendwie unheimlich.« Ich stellte die Heilige zurück auf den Nachttisch zwischen eine Genesungskarte und eine kleine Topfpflanze.
    »Die ist von Treig und Diana. Sie waren gestern hier.«
    Ich sah ihn an. »Du bist ja sehr beliebt.«
    »Sie sind nur sehr liebe Nachbarn.«
    »Ich habe dich vermisst.«
    »Ich habe mein Versprechen nicht gehalten«, entgegnete er. »Und deinen Geburtstag verpasst.«
    »Stimmt.«
    Lange sagten wir nichts mehr. Dann flüsterte Mickey: »Ich liebe dich, Lucy. Das weißt du doch, oder?«
    »Ich glaube schon. Aber ich weiß nicht, was das sollte – was du da getan hast.«
    »Es tut mir leid. Ich habe verrücktgespielt.«
    »Gespielt?«
    »Na ja, nicht direkt vorgespielt. Aber diesmal ist es anders.«
    »Wie meinst du das?«
    »Ich glaube, diesmal geht es mir

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