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Tanz auf Glas

Tanz auf Glas

Titel: Tanz auf Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ka Hancock
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erreichte meinen Sitz, auf dem ein hübsches Sakko lag, dessen Besitzer gerade vorsichtig sein Handgepäck im Fach über den Sitzen verstaute. Als er mich bemerkte, entschuldigte er sich so nett, dass ich ihm auch verziehen hätte, wenn er mich ausgeraubt hätte. Lächelnd nahm er sein Sakko vom Sitz, und ich nahm Platz und schnallte mich an. Dann betete ich darum, dass der Platz zwischen uns nicht besetzt sein würde. Steif lächelte ich den großen, schlaksigen Mann an, der nach Juicy-Fruit-Kaugummi roch.
    Sein Handy klingelte, und er meldete sich mit einem »Hallo, mein Schatz«. Er hörte kurz zu und lachte dann leise. »Du hast sie also gefunden. Gut.« Er nickte stumm vor sich hin. »Gib ihn mir mal … Okay. Ich liebe dich auch.« Er warf mir einen verlegenen Seitenblick zu. »Scotty? … Also, Kumpel, du weißt doch noch, was ich dir gesagt habe, oder? Du bist diese Woche der Mann im Haus. Ich verlasse mich auf dich. Mach deiner Mom keinen Ärger und erzähle den Mädchen keine Gruselgeschichten übers Fliegen. Denk an unsere Abmachung: Wenn ich nächste Woche einen positiven Bericht über dich höre, gehen wir beide … Ja, ich freue mich auch schon darauf. Muss jetzt Schluss machen. Sei schön brav. Ich hab dich lieb.«
    Er schaltete sein Handy aus und sah mich mit verlegenem Lächeln an. »Kinder.«
    »Klingt, als hätten Sie ein ganzes Haus voll«, bemerkte ich.
    »Vier.«
    »Wow.« Ich rieb meinen Bauch. »Ich kann mir noch kaum vorstellen, wie es mit einem ist.«
    »Sie halten einen ganz schön auf Trab, das stimmt.« Er grinste. »Mein Sohn allein ist schon ein Vollzeitjob.«
    Ich beugte mich vor und genoss das ungezwungene Gespräch mit diesem Mann. »Und, was werden Sie und Scott zusammen unternehmen, wenn er brav war?«
    »Paragliding.« Er lachte. »Um ehrlich zu sein, hoffe ich beinahe, dass er sich danebenbenimmt, damit ich das nicht durchziehen muss.«
    Die Stewardess bat um unsere Aufmerksamkeit und erklärte uns, wo sich die Notausgänge befanden und was wir tun sollten, wenn wir über dem Meer abstürzten. Ich hörte nicht zu. Ich stand im Vorgarten dieses Mannes und spähte zu seiner Familie hinein. Seine Frau schien sehr nett zu sein – sie hatte zuerst »Ich liebe dich« gesagt, und ich konnte ihn mir gut mit einem Haus voller Kinder vorstellen. Ich lehnte den Kopf an den Sitz und dachte an Mickey. Wenn ich die Augen zusammenkniff, bis mein Blick verschwamm, sah ich ihn vor mir, wie er mit seiner Tochter telefonierte, genau wie dieser Mann. Dass er sie in demselben fröhlichen Tonfall ermahnte, brav zu sein, und versprach, ihr eine Überraschung mitzubringen, wenn sie pünktlich ins Bett ging.
    Mickey. Wieder fragte ich mich, was ich hier tat. Ich hatte ihn nicht mehr gesehen, seit ich vorgestern Nacht das Krankenhaus verlassen hatte. Ich konnte da nicht wieder hin. Nicht, nachdem Gleason mich angerufen und mir erzählt hatte, dass es tatsächlich genauso gekommen war, wie ich vorhergesagt hatte. Mickey hatte einen gewaltigen Aufruhr auf der Intensivstation verursacht, worauf Gleason ihn in die Psychiatrie verlegt hatte. Dort wurde er nun wegen Selbstmordgefahr überwacht. Mickeys Wein-Benzo-Cocktail bezeichnete er als »bewussten Suizidversuch«, fügte allerdings rasch hinzu, dass Mickey nicht mit ihm sprechen wollte und deshalb nichts dergleichen zugegeben hatte. Er sagte mir auch, dass ich meinen Mann in diesem Zustand genereller Feindseligkeit lieber nicht besuchen sollte. Ich widersprach ihm nicht. Stattdessen fühlte ich mich in meiner Empörung bestärkt. Bis jetzt.
    Dass ich weder die Kraft noch den Wunsch gehabt hatte, Mickey vor meiner Abreise zu sehen, kam mir auf einmal gewissenlos vor. Die paar Gesprächsfetzen dieses Mannes mit seiner Familie – der kurze Blick, den ich in sein Leben erhascht hatte – flößten mir auf einmal Scham über mein eigenes Verhalten ein. Aber Mickey hatte eine Überdosis genommen, das war nun mal eine Tatsache, und ich wusste nicht, wie ich das bei allem, was ohnehin schon mit uns geschah, noch irgendwie unterbringen sollte. »An diesem Punkt waren wir schon einmal, Lucy«, hatte Gleason gesagt. »Er wird sich wieder einpendeln.« Das hoffte ich. Aber ich war so wütend auf ihn, dass mir die Geduld fehlte, ihm dabei zuzuschauen. Also war ich mit dem Ticket losgefahren, das Adam Piper mir gebracht hatte. Ich hatte meine Schwestern vom Flughafen aus angerufen und ihre schockierten Vorwürfe und Mahnungen ignoriert. Jetzt saß ich

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