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Tanz auf Glas

Tanz auf Glas

Titel: Tanz auf Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ka Hancock
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hoffte, dass er meine Warnung verstanden hatte. »Er ist jetzt seit über einem Monat hypomanisch. Und sehr reizbar. Er hat seine Medikamente nicht nach Verordnung genommen. Ich habe der Schwester unten eine Liste seiner Tabletten gegeben. Nur damit Sie Bescheid wissen.«
    »Danke sehr, Mrs Chandler. Ich werde das weitergeben.«
    »Falls Sie irgendeine Bestätigung dafür brauchen, rufen Sie in der psychiatrischen Abteilung an. Sein Psychiater ist Gleason Webb. Ich habe ihn auf dem Weg hierher angerufen, ihn aber nicht erreicht und nur eine Nachricht hinterlassen. Vielleicht sollten Sie es noch einmal versuchen.«
    Jetzt suchte sich der Assistenzarzt tatsächlich einen Zettel und notierte Gleasons Durchwahl. Er war plötzlich sehr aufmerksam geworden, und als er ging, schien er es eilig zu haben. Sobald er fort war, beugte ich mich über das Bettgitter und beobachtete Mickeys gleichmäßigen, maschinellen Atem. Obwohl ich ihn gerade jetzt unbedingt hassen wollte, gelang mir das nicht. Wenn ich daran dachte, was Mickey erwartete, wenn er wieder zu Bewusstsein kam, tat er mir wirklich leid.
    Dann würde er feststellen, dass seine Dämonen ihn wieder einmal überlistet hatten. Er würde rasen vor Wut. Ich konnte mir nichts vorstellen, was für meinen Mann vernichtender wäre, als sich so nackt und bloß sehen zu müssen wie nach einer solchen Posse. Meine Enttäuschung, meine müde Traurigkeit angesichts seiner Eskapaden würden seinen Schmerz nur verschlimmern und ihn möglicherweise zu einem neuen Versuch treiben, sich etwas anzutun. Ich lehnte mich noch einmal über das Bettgitter, küsste ihn auf die Stirn und raunte ihm zu: »Ich liebe dich, mein Schatz. Aber ich werde nicht hier sein, wenn du aufwachst.«
    Auf dem Weg nach draußen schaute ich im Schwesternzimmer vorbei und sagte demselben Assistenzarzt Bescheid, dass ich jetzt ging. »An Ihrer Stelle würde ich ihn gut im Auge behalten«, sagte ich. »Wenn er zu sich kommt, werden Sie vielleicht Fixiergurte brauchen. Es wäre nicht das erste Mal, dass er fixiert werden muss.«
    Eine Krankenschwester, die Mickey bereits kannte, blickte von einer Krankenakte auf und versicherte mir, dass sie sich gleich darum kümmern würde. Ich konnte nur hoffen, dass sie es auch so meinte.
    »Ich rufe in ein paar Stunden an und erkundige mich nach ihm«, sagte ich noch.
    »Jederzeit, Mrs Chandler«, entgegnete der Assistenzarzt, als ich das Zimmer verließ.
    Es war schon fast vier Uhr früh, ehe ich endlich zu Hause ankam, und so still, dass ich das Gefühl hatte, die Erde halte den Atem an. Selbst meine leisen Schritte auf dem Weg durch den Vorgarten erschienen mir wie ein Sakrileg gegen die Stille. Ich setzte mich auf die Stufe vor der Haustür und schloss gegen die absolute Geräuschlosigkeit die Augen. Die Luft hatte genau die richtige Temperatur und Dichte, stimmte so genau mit meiner Natur überein, dass es sich anfühlte, als werde ich von der Nacht absorbiert. Ich seufzte so leise ich konnte.
    Das Baby in mir rekelte sich energisch. Trotz der baufälligen Unterkunft, die ich meiner Tochter zu bieten hatte, fühlte sie sich stark und kräftig an. Ich rieb mir den harten Bauch und machte eine Inventur des Allerwichtigsten: Mickey war in Sicherheit, das Baby war munter, und ich war endlich zu Hause.
    Ich stand gähnend auf und kramte den Schlüssel aus meiner Tasche. Als ich die Tür öffnete, fand ich einen großen Umschlag im Hausflur, den jemand durch den Briefschlitz geschoben hatte.
    Ich starrte darauf hinab. Ich wusste genau, was das war. Mit einem erstickten Seufzen hob ich meine Flugtickets nach Hawaii vom Boden auf. Als ich sie in der Hand hielt, wurde ich wütend, geradezu irrational zornig. Er hatte es mir versprochen!
Wir fliegen zu deinem Geburtstag hin,
hatte er gesagt.
Ich werde ganz brav sein,
hatte er gesagt.
Ich werde dich nicht enttäuschen, Lu.
Ich schleppte mich die Treppe hinauf, den Umschlag in der Hand. Im Schlafzimmer ließ ich mich aufs Bett fallen, starrte zur verschwimmenden Decke hoch und regte mich mit jeder Minute mehr auf. Nachdem ich eine Zeitlang in meiner Empörung mariniert hatte, beschloss ich, meinen Teil der Abmachung einzuhalten, und packte meinen Koffer.
     
    Am Los Angeles International Airport, wo ich umsteigen sollte, kamen mir bereits die ersten Zweifel. Was tat ich hier ohne Mickey? Beim Boarding dachte ich ernsthaft daran, kehrtzumachen und ins nächste Flugzeug zurück nach Connecticut zu steigen. Aber ich tat es nicht. Ich

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