Tanz der Aranaea (German Edition)
keine Treffer bekommen hatte. Der Motor sprang sofort an und mit Vollgas setzte ich den Wagen in Bewegung. Wie von tausend Taranteln gestochen jagten wir über die Wiesen in Richtung Westen. Entgegen kommenden Tieffliegern wich ich im Zickzack aus und ich wusste, jede Entscheidung konnte die Falsche sein, auch die Flucht mit diesem Fahrzeug konnte so falsch sein wie auch richtig. Logisches Denken und Handeln war in dieser Situation nicht möglich, ich war auch gar nicht dazu in der Lage. Wir hatten Glück, einfaches fast unverschämtes Glück, und gegen spät am Nachmittag waren wir endlich soweit aus der Gefahrenzone, und erstmals machten wir in der Nähe von Torgau eine Rast. Am Ufer der Elbe wuschen wir uns ein wenig, und während die Kinder am Ufer saßen und einige von ihnen kleine Steine ins Wasser warfen, machte ich an dem Fahrzeug eine kleine Bestandsaufnahme, entfernte die zersplitterten Glasreste, prüfte den Ölstand und den Tankinhalt.
Während ich meiner Arbeit nachkam, wunderte ich mich über mich selbst, dass ich nicht den geringsten Hass auf unsere Peiniger verspürte. Wer trägt die Verantwortung für dieses Massaker? War es der englische Marschall Harris, den man auch Bomber - Harris titulierte? Winston Churchill? Oder der amerikanische Generalmajor Hill? Jeder einzelne Bomberpilot, der seine Fracht mitten in die Masse der Leiber setzte? Der amerikanische Kampfflieger mit seinem Mustang der mit den Bordkanonen gezielt Jagd auf Zivilpersonen machte? Hitler, Göring, Goebbels und alle Nazibonzen? Jene mit Sicherheit! Ebenso trägt jeder einzelne für diesen Um- und Zustand seinen Teil an Verantwortung. Auch ich, denn ich war und bin überall dabei wenn es gilt anderer Leben und Besitzstand zu zerstören, wenn auch nicht freiwillig, aber ich hatte mich nie bis zur letzten Konsequenz dagegen gewehrt. Nur die Kinder Europas, der Welt, und ihre Mütter, waren von jeder Schuld frei, und sie waren die Opfer dieses Wahnsinns. Ich versuchte alles um diese Kinder, „meinen Kindern“ eine Geborgenheit in meiner Schweizer Heimat zu bieten.
***
Nach der eintönigen Fahrt zwischen den großen Salzseen, verließen wir endlich diese Senke und fuhren über eine Anhöhe, direkt in eine nicht überschaubare Dünenlandschaft. Die zuvor noch leicht zählbaren Fahrzeugspuren, die der Wind noch nicht vollständig verwehte, weiteten sich nun in dem weichen Untergrund zu einem großen Delta aus. Die Piste wurde jetzt viele hundert Meter breit und jede Entscheidung welcher Spur wir folgen sollten, konnte die falsche Richtung bedeuten oder ins Nichts führen. Oftmals bestanden die auf der Karte eingezeichnete Pisten in Wirklichkeit, aus Hunderten von Fahrspuren, die auf einer Breite von 50 Kilometer sich überschnitten, auseinander liefen, oder auf Schotterfeldern sich verlor. Dies widerfuhr mir schon Dutzende Male in der Libyschen Wüste, aber dort waren wir eine ausgebildete und eingespielte Kampftruppe mit entsprechenden Geräten und Ausstattungen. Wir hatten als junge Männer zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt, nicht diese Angst gehabt. Ich wusste aus Erfahrung, dass die Angst der größte Feind in der Wüste war. Mehr noch als alles andere. Angst und der dadurch aufkommenden Panik bedeuteten aber Flüssigkeitsverlust. Man schwitzte mehr als man sonst schon in der Wüste schwitzte. Statt der etwa sieben Liter Wasser am Tag, die bei normalen Wüstenfahrten benötigt wurden, verlangte der Körper bis zu zehn Liter Wasser, und da konnten wir in dieser Situation mit unseren zwanzig Litern an Wasservorrat pro Person, doch sehr schnell Probleme bekommen. Panik, bedeutete aber auch ein aufkommender Zwang zu Bewegungen unter ständigem Richtungswechsel, weil kein Vertrauen mehr in eigene Entscheidungen bestand. Verdursten war eine Prozentual zum Körpergewicht fortschreitende Dehydratation. Beträgt der Flüssigkeitsverlust 0,5 Prozent des Körpergewichts, bekam der Mensch Durst. Bei zwei Prozent wird sein Magen soweit geschrumpft sein, dass er die nötige Menge an Flüssigkeit nicht mehr auf einmal aufnehmen konnte. Von sieben Prozent an würden die Drüsen keinen Speichel mehr produzieren, und die Haut würde sich blau färben. Bei zwölf Prozent Flüssigkeitsverlust zum Körpergewicht wäre ein Mensch auf natürlichen Wege nicht mehr zu retten. Unter extremen Klimabedingungen konnte ein in Panik geratener Europäer binnen zwei Tagen verdursten.
Nach meiner Karte waren es noch etwa dreißig Kilometer bis zu
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