Tanz der Dämonen
Das mochte auf die Wirkung der Fleischpastete und jenes Bechers Gewürzwein zurückgehen, die Pietro mir spendiert hatte, weil ich selbst über so gut wie gar kein Geld mehr verfügte.
Geld!, dachte ich. Das gehört zu den Ärgernissen, die am schlimmsten sind, wenn man sie nicht hat!
Da griff eine Hand nach meinem Arm, und ein heftiger Schrecken durchfuhr mich. Aber dann blickte ich mich um und musste lachen. Es war ein Kind! Ein Junge von höchstens sieben Jahren mit Sommersprossen im Gesicht und nackten Füßen. Nackte Füße bei dieser Kälte! Er sah mich unsicher an, doch seine kleine, schmutzige Hand zupfte ungeniert an meinem Ärmel.
»Ich soll dir was sagen«, wisperte er und fügte wichtigtuerisch hinzu: »Von einem Herren, der dich zu sehen verlangt. Er wartet auf dich.«
»Wo wartet einer auf mich?«, fragte ich misstrauisch.
»Da drüben. Ich zeig es dir. Du sollst gleich kommen.«
»Und wer soll das sein?«
Der Junge verzog angestrengt das Gesicht, als müsse er über einen Wortlaut nachdenken, den man ihm eingeschärft hatte. Dann brachte er heraus: »Er sagt, er ist dein Vater.«
Nichts hätte in diesem Augenblick überraschender für mich sein können. Und sofort war ich auf der Hut. Was bedeutete das?
Es ist eine Falle, dachte ich. Es ist ganz sicher eine Falle. Aber gleichzeitig war da eine Stimme in mir, die sagte: Und wenn es nicht so wäre?
Und ich wusste bereits, dass ich nicht anders können würde, als auf das Risiko einzugehen. Die Warnungen meiner Freunde waren eindringlich genug gewesen, aber schon schlug ich sie erneut in den Wind. Ich sagte nicht einmal Pietro Bescheid. Er hätte mich vielleicht zurückgehalten.
»Dann geh voraus«, sagte ich mit trockener Kehle. »Ich folge dir.«
Im selben Augenblick glaubte ich genau zu wissen, dass ich das Falsche tat, sehenden Auges und wider alle Vernunft. Und das nicht zum ersten Mal. Aber genau so handelt man bisweilen. Zur Entschuldigung kann ich nur eines sagen: Ich war sehr jung damals.
»Ist es noch weit?«, fragte ich, nachdem wir einige Gassen durchschritten hatten. Der Junge gab keine Antwort. Mir wurde kalt ums Herz. Rasch hatten wir den belebten Teil der Stadt hinter uns gelassen. Das erinnerte mich an eines meiner gefährlichsten Abenteuer. Worauf ließ ich mich diesmal ein? Geht man so dem Tod entgegen? Ohne anders zu können?
Gerade beschloss ich, doch noch nein zu sagen und einfach umzukehren, da blieb der Junge stehen und deutete stumm mit dem Finger auf den Eingang einer düsteren Kaschemme.
»Hier?«
Er nickte.
Es war leer in meinem Kopf. Sollte ich wirklich da hineingehen? Alles warnte mich: Tu es nicht!, aber ich spürte, dass ich es dennoch wagen würde. Unsicher drehte ich mich nach dem Jungen um. Er war verschwunden.
Plötzlich ärgerte ich mich über mich selbst. Nun war ich so weit gegangen! Sollte ich etwa jetzt zurückweichen? Das übliche Argument im Angesicht des Höllenrachens.
Dann also los!, dachte ich und nahm allen Mut zusammen. In diesem Augenblick, da ich wusste, dass es entschieden war, kam etwas von jener Unbekümmertheit zurück, die mir schon so vieles erleichtert hatte. Vor allem den Schritt zu so mancher Torheit! Ich pfiff leise durch die Zähne und trat vor die Tür.
Kam ich diesmal ans Ziel? Endlich?
Da spürte ich, dass ich nicht alleine war. Jemand, der schwer atmete, stieß mich in die Seite.
»Pietro!«
»Du Narr, wo willst du hin? Mit knapper Not hab ich dich noch verschwinden sehen!«
»Mein Vater ist da drin. Er hat einen Boten geschickt, mich zu holen!«
»Du bist verrückt! Einen Boten? Wo denn?«
»Er ist weg.«
»Wirst du denn gar nicht klug?«
»Lass mich in Ruhe. Ich weiß selbst, was ich tue!«
»Pfft!«
»Und du hast mir überhaupt nichts zu sagen!«
»Nun mal ruhig. Wenn du unbedingt willst, werden wir da hineingehen, aber zusammen – und mit aller Vorsicht.«
»Du brauchst nicht mitzukommen, wenn du nicht willst!«
»Glaubst du, ich lasse dich allein gehen?« Misstrauisch beäugte er die Tür. »Eine Kaschemme«, sagte er.
»Das sehe ich auch.«
»Lass mich! Ich gehe zuerst. Bleib hinter mir.«
Das Kommandieren muss ich dir ganz dringend abgewöhnen, dachte ich. Da war er schon mit wilder Entschlossenheit über die Schwelle. Der dunkle Windfang roch nach Pisse. Es war merkwürdig leise im Innern der Wirtschaft. Pietro, der große Held, drückte vorsichtig die innere Tür auf, die zum Schankraum führen musste.
Zack!, macht es, und ein Hieb auf den Kopf
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