Tanz der Dämonen
Alle diese Händlerinnen bewegten sich seit mindestens einer Stunde in Hörweite durch die Gassen in meiner Nähe, während andere mit Holz, Mehl und Gemüse auf entfernteren Strecken unterwegs zu sein schienen, so dass sie nur gelegentlich zu vernehmen waren. Sie alle trugen ihre Ware in Körben, Krügen oder Säcken auf dem Kopf. Bei manchen von ihnen sah das aus wie ein Kunststück, das man für Geld hätte vorführen können, besonders bei der Gemüsehändlerin, die einen ausladenden Riesenkorb mit einem ringförmigen Kissen als Polster auf ihrem Scheitel balancierte. Darauf waren Kohlköpfe, »Kappes«, wie man hier sagt, dekorativ aufgestapelt, so dass sich eine imposante Pyramide ergab, die ringsherum mit Lauch und Rüben verziert war.
Keine hatte jedoch ein so durchdringendes Organ wie die Obsthändlerin. Sie kam nun wohl schon zum dritten Mal an mir vorbei und machte gute Geschäfte mit den Hausfrauen und Dienstmägden aus den stattlichen Bürgerhäusern, die an der Kirche Sankt Brigida zu bewundern waren. Ich glaube, sie schlug ihre Konkurrenz einfach mit der Gewalt ihrer Stimme aus dem Feld. Als sie mich erneut an derselben Hausecke mit der verwitterten hölzernen Figur stehen sah, blinzelte sie mich freundschaftlich an und steckte mir, ehe ich mich versah, einen prächtigen Apfel zu. Dann ging sie weiter, schwenkte dabei aufmunternd die Hüften und blicktesich noch einmal um, um sich zu vergewissern, dass ich es auch bemerkt hatte!
Dass ich den Straßenhändlerinnen mehr Aufmerksamkeit schenkte als den Händlern, die es natürlich auch gab, liegt daran, dass diese Frauen mich durch ihre Kopfarbeit in Staunen versetzten. Dergleichen war mir bisher nur selten begegnet und niemals in solcher Vollendung. Die männlichen Anbieter trugen ihre Last gewöhnlich in Kiepen oder Bauchläden: Käse, Kreide, Streusand, irdenes Geschirr. Ein Weinverkäufer war gekleidet wie ein Geck, mit einer grünen Feder auf dem Hut, und führte eine regelrechte Pantomime auf, die ihn als beflissenen Diener vornehmer Herrschaften erscheinen ließ. Auch die Männer waren zu erstaunlichen Stimmleistungen fähig. Am krassesten tat sich ein Scherenschleifer hervor, der mit seiner Werkstatt von Haus zu Haus zog.
Ich hatte reichlich Zeit, das Treiben zu beobachten, denn ich wartete an dieser Straßenecke nun schon fast den halben Tag.
Ahasver hatte Pietro einen Zettel mit der Mitteilung hinterlassen, wir sollten hier auf ihn warten. Aber wer nicht kam, war der Alte. Pietro, der sich neuerdings ein ziemlich selbstherrliches Benehmen angewöhnt hatte, verschwand immer wieder in einer nahe gelegenen Weinstube. Mich ließ er zurück, um den Posten zu besetzen. Das war nicht weiter schlimm, solange die Sonne in die Gasse schien und mich wärmte. Nun aber schickte sie sich an unterzugehen, und es wurde empfindlich kalt.
»Hör zu!«, sagte ich, als Pietro wieder einmal herausschaute und sich aufführte, als habe er mich zu kontrollieren. »Das nächste Mal bleibst du hier stehen, und ich gehe mich aufwärmen!«
»Sei nicht albern«, war die Antwort. »Aus dieser Weinstube würden sie ein Knäblein wie dich sofort hinauswerfen!« Das ärgerte mich mehr als alles andere.
Es wird dir noch Leid tun!, dachte ich.
Gerne hätte ich meine Bettlerfreunde aufgesucht, um ihnen zu berichten, was mir geschehen war; sie mussten ja ganz im Unklaren über mein Schicksal sein, falls nicht Anselmus den Ausgang desKampfs mit Pater Nabor beobachtet und ihnen Bericht gegeben hatte. Dessen war ich mir durchaus nicht sicher. Aber Ahasvers Anweisungen mussten wohl streng gewesen sein, und ich wollte nicht schon wieder gegen sie verstoßen.
So besah ich mir gewiss zum hundertsten Mal die Schnitzfigur an der Hausecke: Sankt Georg mit dem Drachen. Der Ritter war arg von Wind und Wetter zerfressen, aber das Ungeheuer hatte sich gut erhalten. Es sperrte den Rachen so weit auf, dass es leicht den ganzen Reiter hätte verschlingen können. Das war aber nicht zu befürchten, denn der Heilige hatte seine Lanze tief in den Hals des Tieres gebohrt, so dass sie mindestens bis in den Magen gedrungen sein musste. Mit dem Vieh ist es aus, entschied ich. Und mit mir wohl auch ziemlich bald, wenn ich mir nicht schleunigst warme Füße verschaffte!
Vielleicht sollte ich doch bei der nächsten Einladung dieser Obsthändlerin folgen. Sie würde mir sicher zu helfen wissen. Ich kicherte still bei diesem Gedanken und wunderte mich, dass ich eigentlich doch recht guter Laune war.
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