Tanz der Dämonen
buntscheckigen Völkchens war jedoch in guter Stimmung. Bei den Festereignissen in der Stadt war den Schaustellern, Bettlern und Beutelschneidern offenbar manch eine Münze in die Hand gekommen, sei es auf die eine oder andere Weise, auf jeden Fall leichter, als sie es sonst gewöhnt waren. Diesen Gewinn hatten sie vor allem in Bier, Wein und Fusel umgesetzt, und nun war ihnen nach feiern zu Mute. Ein paar Musikanten mit Dudelsack und Kniegeige spielten auf. Ein wild aussehender Landstörzer mit einem Holzbein und eine trunkene Alte von gewaltigem Leibesumfang tanzten dazu, und alle, die zuschauten, begannen rhythmisch in die Hände zu klatschen. Als das Tanzpaar vor Erschöpfung aufgab, erhob sich ein Taschenspieler, der mit bunten Kugeln jonglierte undkleine Gegenstände vor aller Augen verschwinden und wieder auftauchen ließ. Das hatte ich bei Pietro schon besser gesehen. Aber das Publikum war nicht anspruchsvoll.
»Na?«, flog seine Frage in die Runde. »Wo ist es geblieben, das hübsche Ei?« Ratloses Gemurmel. Zweideutig fuhr er fort: »Mancher von euch möchte wohl froh sein, er hätte zwei von der Sorte!« Anzügliches Gelächter. Sie waren wirklich leicht zufrieden zu stellen. Ein blasses, mageres Mädchen ging für ihn sammeln.
Es bekam nicht viel Geld, nur ein paar kleine Münzen und von einigen etwas Brot. Der Taschenspieler sah mürrisch zu.
»Kopf hoch«, sagte ich zu dem Mädchen. Ein zögerndes Lächeln erhellte das kleine Gesicht, auf dem blaue Flecken zu sehen waren.
»Werde fertig!«, knurrte ihr Herr und Meister. Nichts mehr von der gewinnenden Unbekümmertheit, die er bei seinem Auftritt präsentiert hatte. »Und quatsch nicht mit den Bengeln!« Das Mädchen zuckte zusammen und huschte davon. Aber es blickte noch einmal zu mir zurück und lächelte tapfer.
Täusche dich nicht, dachte ich und meinte den Taschenspieler. Die ist am Ende stärker als du.
Dann gab es Unruhe in meiner Nähe. Ein seltsamer, schmächtiger Mann mit bleicher Haut trat in den Kreis. Plötzlich spürte ich die beißende Kälte der Nacht. Diesen Mann kannte ich längst. Ich hatte ihn bei meiner Ankunft in Deutz gesehen: das Mondgesicht!
»Wie könnt ihr so gedankenlos sein?«, fragte er mit seiner dünnen, aber unheimlich durchdringenden Stimme. »So frevelhaft gedankenlos? Wisst ihr denn nicht, dass noch dieses Jahr ein Stern über euch kommen wird, dem kein anderer gleicht? Ihr werdet ihn sehen, und eure verderbten Seelen werden zittern. Und es wird kommen ein großes Beben, und die Sonne wird finster sein, und der Mond wird sein wie Blut. Und es wird eine große Stille sein im Himmel und auf Erden, wenn das Lamm das siebente Siegel bricht …«
Die Zuhörer hatten bei den ersten Worten verstört geschwiegen. Jetzt aber erhoben sich zornige Stimmen, und dann folgte einSturm der Entrüstung. Schmutz und Abfälle wurden auf den Sprecher geworfen. Hier war das Publikum nicht so leicht zu beeindrucken wie die Pilger und Reisenden in der Herberge am Strom. Zwei rüpelhafte Kerle packten ihn am Kragen, beutelten ihn heftig und stießen ihn weg. Er schwieg dazu, den Mund zu einem schmalen Strich zusammengepresst, und trollte sich davon.
Dennoch: Es war wie damals, als ich diesen beängstigenden Propheten zum ersten Mal gehört hatte: Ein Schatten war auf die Stimmung der Zuhörer gefallen. Nur langsam verlor sich dieser Eindruck. Einige der Bettelbrüder, die ein paar heruntergekommen aussehende Weiber bei sich hatten, fingen an, zotige Lieder zu singen, die mit anzüglichen Gesten begleitet wurden. Andere zogen sich ins Dunkel zurück, um zu schlafen oder etwas anderes zu tun, bei dem sie keine Zuschauer haben wollten. Ich stand auf und wandte mich wieder dem Schlafplatz meines Kleeblattes zu. Beim ersten Schritt jedoch stolperte ich über die Füße eines knochigen Mannes, der sich ausgestreckt in den Weg gelagert hatte. Ehe ich eine Entschuldigung sprechen konnte, fuhr er auf, als habe eine Schlange ihn gebissen. Zwei stechende Augen in einem grindigen Gesicht waren auf mich gerichtet, und die Klinge eines Messers blitzte auf. Ich wich erschrocken zurück. Er starrte mich weiterhin an, und aus seiner Kehle kam statt menschlicher Worte ein leises Knurren, das wie die Warnung eines bösartigen Hundes klang.
In meinem Bemühen, der gezückten Waffe auszuweichen, trat ich auf Arme und Beine anderer. Wütendes Geschimpfe. Wohin jetzt? Irgendwie gelang es mir zu entrinnen, ohne das ganze Lager gegen mich aufzubringen.
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