Tanz der Dämonen
seine eigene Zeitrechnung. Und seine eigenen Gründe.«
»Wie meint Ihr das?«
»Vielleicht wäre es ihm lieber, wenn er deiner Mutter – sagen wir – Anno 15 begegnet wäre und nicht Anno 13. Dafür, zum Beispiel, könnte es Gründe geben …«
»Ihr verwirrt mich. Ich weiß fast gar nichts über mich. Wenn ich ehrlich bin: Kann ich überhaupt sicher sein, dass er wirklich mein Vater ist?«
»Da sei beruhigt. Das glaube ich für dich mit!«
»Warum? Ist … Bin ich ihm ähnlich – irgendwie?«
»Nicht nur irgendwie. Frag mich ein anderes Mal. Das würde uns jetzt zu weit führen.«
»Ich habe keine Ahnung …«
»Glaub mir: Ich kenne ihn. So wie er sich verhält, würde er es nie tun, wenn er sich nicht sicher wäre.«
»Hm.«
Mit plötzlicher Entschiedenheit brach sie das Thema ab: »Zerbrich dir jetzt nicht den Kopf. Wir haben andere Probleme. Zieh mal das Zeug da aus. Du musst baden!«
»Was denn, schon wieder?«
Das Runzeln ihrer Brauen ließ mich verstummen.
»Und nimm einmal das Brusttuch ab!«, fügte sie hinzu.
»Ich weiß aber nicht …«
»Aber ich! Übrigens: Seit wann wickelst du es so fest?«
»Seit – seit dem Sommer. Eigentlich Unfug. Mich schaut schließlich doch keiner an.«
»Da sei dir nicht so sicher. Besonders, wenn ich erst mit dir fertig bin! Probier mal das hier.«
Ich sah nur roten Samt und weiße Seide.
»Das geht doch nicht! Es ist viel zu …«
»Sei nicht töricht! Es wird dir passen – mit ein paar Stichen hier und da. Und es wird dir stehen. Sieh selbst.«
Sie hielt mir das Kleid vor den Leib und wies auf einen kleinen Spiegel an der Wand.
Ich erschrak. Das war ich?
»Schlüpf hinein. Du wirst schon sehen. Übrigens, seit wann hast du eigentlich deine Regel. Oder etwa noch gar nicht?«
»Äh, doch. Seit vorigem Winter. Es war beschämend … Niemand hatte vorher …«
»Schon gut. Durch so was müssen viele von uns hindurch.«
Zum Glück war La Lupa viel zu sehr mit dem Kleid beschäftigt, um weiter nachzufragen, und ich war froh, nichts über die näheren Einzelheiten sagen zu müssen. Meine Mutter war schließlichdamals schon längst tot gewesen, und Vater Sebastian … Manchmal habe ich inzwischen überlegt, ob er nicht genau damals beschlossen hat, dass ich von ihm weggehen müsse. Eine Welle von Verzweiflung überrollte mich, als ich an den weltfremden alten Mann dachte. Seit ich seinen Brief gelesen hatte, hatte ich immer wieder versucht, den Gedanken an ihn beiseite zu schieben. Aber es war mir keineswegs gelungen.
»Mein Gott, was heulst du denn?«, rief La Lupa. »Hör sofort auf damit! Schau lieber her!«
Es war ein Kleid wie für eine Gräfin, dunkelrot, mit langer Schleppe; Schultern, die aufgebauscht waren wie kleine runde Kissen, und geschlitzte Ärmel, die von Bändern zusammengehalten wurden; dazwischen blitzten Einsätze aus weißer Seide hervor; Hals und Busen waren von einer Krause bedeckt, die mit einer goldenen Schnur gerafft war.
Sie half mir in das unvertraute Gewand, schob und zupfte hier und dort an mir herum und legte prüfend den Kopf schief.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Da überraschte sie mich schon wieder mit einer neuen Eröffnung.
»Gib Acht«, sagte sie. »Es ist – warte, wie würdest du das sagen? – ein Magdalenen-Kleid … Maddalena, begreifst du nicht?«
Meine Verständnislosigkeit brachte sie zum Lachen.
»Sieh her«, erklärte sie. »Alles brav und züchtig. Busen bedeckt und Schultern auch. So kannst du zur Papstmesse gehen. Aber jetzt pass auf!«
Sie zog die goldene Schnur heraus, und plötzlich war der Latz verschwunden. Mir entfuhr ein erschrockener Aufschrei. Ich hatte das Gefühl, nackt dazustehen. Fast traten da meine Brustspitzen zum Vorschein! Ich muss so entgeistert gewirkt haben, dass La Lupa gar nicht aufhören konnte zu lachen.
»Was – was soll denn das?«, stammelte ich.
»Täubchen! Glaub mir, es gibt Gelegenheiten für das eine wie für das andere. Du solltest mir dankbar sein. Es ist nichts dabei …«
Sie wischte sich die Tränen aus den Augen.
»Maddalena«, sagte sie. »Magdalena war ein leichtes Mädchen, weißt du das nicht? Verflixt: Una putana! Und dann ist sie eine Heilige geworden. Dies hier ist genau so! Schwupp! In diesem Fall nur umgekehrt. Je nachdem …«
Sie musste wieder lachen, und diesmal fiel ich zögernd ein. Aber ich war mir der Sache nicht sicher.
»Bitte! Ich soll doch nicht …?«
Ihr Gesicht wurde ernst. »Lass es auf dich zu kommen, Kleines. Du
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