Tanz der Dämonen
wir eigentlich? Wo geht es hin? Bis Aachen – wie weit mochte das sein?
Ob ich den Höfling fragen sollte? Oder diese Dienerin? Ich konnte mich nicht aufraffen, es zu tun.
Nach Aachen? Was phantasierte ich denn? Glaubte ich nun tatsächlich, dass es zum Kaiser ging? Der Kutscher knallte mit der Peitsche. Die Fahrt wurde schneller und holpriger, denn natürlich war die Straße schlecht. Gern hätte ich mich in den Arm gekniffen, um festzustellen, ob ich nicht träumte. Aber ich hatte keine Hand frei. Ich musste mich festhalten, so gut ich konnte.
Der Kaiser, dachte ich, immer noch ungläubig und widersinnigerweise zugleich überzeugt. Es wartet auf mich der Herrscher der Welt. Auf mich, die kleine Kat, die man erst kräftig bürsten muss, damit sie nicht mehr aussieht wie ein verlauster Straßenbengel.
EIM K AISER
Kommandostimmen und Waffengeklirr … War ich etwa eingenickt? Trotz dieser halsbrecherischen Fahrt? Ich blickte nach draußen. Es war dunkel. Es war kalt. Fest zog ich den flauschigen Mantel um mich, den La Lupa mir gegeben hatte. Das Gefühl der Unwirklichkeit war stärker als je zuvor.
Wo waren wir? Ich erkannte eine Mauer unter hohen, kahlen Bäumen, dann ein stattliches Haus mit niedrigen Nebengebäuden. Die Kutsche fuhr langsam und überquerte eine Brücke. Jetzt sah ich einen Hof. Das Haus hatte einen Treppenturm und ein Portal mit Skulpturenschmuck. Offiziere und Soldaten besetzten den Zugang. Vornehm gekleidete Herren gingen ein und aus. Unter einem Säulendach stand eine Reihe prächtiger Pferde bereit. Gerade wurden Pechfackeln in eiserne Ringe am Mauerwerk gesteckt. Ihr Flammenschein erhellte unruhig die Szene.
Die Karosse brachte mich bis zum Portal. Dort wurde der Schlag aufgerissen, und man half mir beim Aussteigen. Schwierig genug, wenn man gewöhnt ist, mit Hosen und Stiefeln angetan zu sein! Die schweigsame Dienerin half mir. So kam ich gut zurecht. Ich raffte den Mantel zusammen, wie es mir La Lupa gezeigt hatte, und versuchte so zu tun, als sei dies alles für mich die selbstverständlichste Sache der Welt.
Als ich die Stufen der Freitreppe emporstieg, gewann ich mehr Überblick. Dieses Bauwerk musste eine Burg oder ein Herrenhaus sein. Ein Landsitz mit Wallgraben und Befestigungsanlagen. Von einer Stadt war weit und breit nichts zu sehen. Also waren wir nicht in Aachen! Ich ließ mich durch den Abgesandten des Kaisers ins Treppenhaus geleiten. Die Wache salutierte, als wir einen niedrigen Saal betraten, der voller Bewaffneter war. Ein ernst aussehenderMann in einem glänzenden Wams begrüßte mich förmlich und ohne große Herzlichkeit. Ich hatte den Eindruck, dass er am Hofe einen Posten bekleidete, der ihn durch eine Vielzahl ehrenvoller Aufgaben beständig in Atem hielt. Ein Majordomus – oder wie der entsprechende Titel wohl lauten mochte. Sein Gehabe war von Anspruch und Gereiztheit bestimmt.
»Ihr werdet erwartet, doch werdet Ihr Euch ein wenig gedulden müssen«, sagte er förmlich. Und während er vor mir stand und einen Bediensteten instruierte, wohin ich geführt werden solle, war mir völlig klar, dass ich ihn kannte. Erneut bedrängte mich die Überzeugung, dass ich in einem Netz von Zusammenhängen steckte, dessen Engmaschigkeit ich immer wieder spürte, wenn mir auch nach wie vor der Überblick fehlte. Dieser Mann hatte schon mehrfach meinen Weg gekreuzt. Zum ersten Mal im Haus mit dem Löwen, da hatte ich ihn am Totenlager des Herrn Arndt gesehen, zusammen mit dem Aussätzigen und dem Schwarzen Hund, dann im Hof der alten Brauerei, wo er Ahasver, Grifone und dem Ohrring gegenübergestanden hatte, und schließlich beim alten Schiffsrumpf am Rheinufer, als er unser Versteck durchsuchen ließ. Es war der Graf, den ich zunächst den Mann mit der herrischen Stimme genannt hatte. Hier also hatte er seinen Platz, zweifellos eine Position von Einfluss. Ich begriff, was das bedeutete: Das Netz der Spinne reichte bis in das Vorzimmer des Kaisers! Nein, keine Spinne. Das Tier, um das es geht, ist der Skorpion!
Er hingegen schien mich nicht zu erkennen. Wie sollte er wohl! Nur einmal hatte er mich vor Augen gehabt, kurz und in völlig anderer Kleidung. Oder täuschte ich mich? Als er mich noch einmal ansah, ehe er zu anderen Aufgaben überging, meinte ich ein argwöhnisches Aufblitzen seiner Augen zu bemerken. Ging ihm vielleicht eine vage Erinnerung durch den Sinn, ein unbestimmter Verdacht, der unter Umständen in ihm weiterwirken und bei längerem Nachdenken
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