Tanz der Dämonen
Leider sah ich von diesem Ehrenmarsch herzlich wenig, weil die Vorhänge mir nur ab und zu einen raschen Blick gestatteten. Den Kopf hinauszuhängen wäre gewiss als nicht gerade standesbewusstes Verhalten vermerkt worden. So war es mir leider nicht möglich, Freunde und Bekannte oder notfalls gänzlich Fremde durch das Geschenk eines Lächelns von oben herab in Erstaunen zu versetzen. Stattdessen saß ich auf weichen Kissen und wartete, dass das Schaukeln aufhören möge. Ein leichter Geruch im Innern der Karosse machte sich nach und nach immer deutlicher bemerkbar, Spiritus, Salbe, Öl oder irgendetwas in dieser Art. Vielleicht auch eine Medizin, wie sie Vater Sebastian manchmal zum Einreiben gegen seine Gicht benutzt hatte. Sagte man nicht, auch der Kaiser leide an diesem schmerzhaften Gebrechen?
Es war genau in dem Augenblick, als ich mich auf meinem Sitz zurücklehnte und die Kutsche durch das Stadttor von Köln rollte, dass die Wirklichkeit dessen, was geschah, mit voller Wucht über mich hereinbrach. Es war ein glühender Schrecken und ein Gefühl von würgender Panik. Unterdrückte Ängste kamen mit doppelter Gewalt über mich.
Dabei waren meine Gedanken von erschreckender Klarheit: War ich denn wahnsinnig? Auf was hatte ich mich eingelassen? Alles dies ergab keinen Sinn! Hing es irgendwie mit dem anderen zusammen, das mir in Köln bisher zugestoßen war? Konnte es dann etwas anderes sein als ein neuer Anschlag?
Wie dumm und vertrauensselig war ich gewesen! Ein offiziell wirkender Brief, ein stutzerhaftes Gesicht, das gerade durch seine Borniertheit unbedenklich wirkte – und schon hielt ich die unwahrscheinlichste Geschichte für glaubhaft.
Unauffällig musterte ich den Abgesandten mir gegenüber. War diese förmliche, ernsthafte Miene – eine Maske? Der Höfling verhielt sich völlig teilnahmslos. Ob er mit offenen Augen schlief? Einmal glaubte ich ein leises Schnarchen zu vernehmen, aber dieser Laut konnte auch von der Dienerin stammen, deren Kopf hin und her wackelte wie bei einer hölzernen Puppe. Wenn ich jetzt den Wagenschlag aufstieß und hinaussprang – wer von ihnen konnte mich aufhalten? Aber dann dachte ich an die Eskorte. Ich würde unter die Hufe der Pferde geraten. Und außerdem musste ich bedenken, dass ich ein Kleid trug und nicht Wams und Hosen wie sonst.
Ich würde nicht weit kommen!
So verharrte ich verwirrt und unfähig, mich zur Wehr zu setzen. Zum ersten Mal im Verlauf dieses Abenteuers hatte ich das Gefühl, ganz und gar hilflos zu sein.
Seltsam, ging es mir durch den Kopf, seltsam, dass auch La Lupa die Gefahr nicht gesehen hat. Ist ihr Urteil nicht klarer als meins?
Zuerst hatte der Schrecken sich angefühlt wie ein Anfall von Fieber. Jetzt war mein Herz wie Eis, und kalter Schweiß auf meinerHaut ließ mich zittern. War ich krank? Ich spürte Übelkeit. Ob ich erbrechen musste? Ob ich mich so entziehen könnte?
Der Höfling mir gegenüber schreckte auf.
»Ist Euch nicht wohl, Demoiselle ?«, fragte er beflissen und nestelte, obwohl ich den Kopf schüttelte, eine Flasche und einen silbernen Becher hervor. In meiner Verwirrung ließ ich mir einen Schluck aufnötigen. Eine Art Branntwein. Schmeckte nicht übel. Gleich darauf dachte ich: Und wenn er dich jetzt vergiftet hat?
Aber das betretene Gesicht des Höflings machte diesen Gedanken unglaubwürdig. Ob es nun Sinn ergab oder nicht – die Beklemmung wich ein wenig, und ich hatte den Tiefpunkt überwunden. Vielleicht war das schon die Wirkung des Getränks?
Kat, du bist der größte Tor von allen! Da saß ich in diesem muffigen, schwankenden Kasten und glaubte wahrhaftig, der Kaiser warte auf mich! Fast hätte ich laut gelacht. Doch meine Überlegungen, wie närrische Kinder, liefen bereits wieder in eine andere Richtung. Da kam wieder jene Erinnerung, aus der ich nicht klug wurde: Die Erinnerung an den gläsernen Becher, der meiner Mutter gehört hatte …
»Da trug er noch keine Krone«, sagte ihre weiche Stimme. Schon der Gedanke an sie gab mir neue Kraft. Und wenn es Wahrheit wäre, dass …?
»Es ist Unsinn!«, flüsterte ich. Hatte mich jemand gehört? Anscheinend nicht.
Er ist nicht mein Vater! Das ist doch klar. Er ist erst dreißig Jahre alt. Wie sollte das gehen? Mein Vater ist Grifone, auch wenn mir das wenig gefallen mag. Es muss einen anderen Grund geben, weshalb der Kaiser mich sehen will.
Wenn es denn wahr ist, dass er mich sehen will.
Als die Angst ein wenig zurückwich, regte sich Neugier. Wo sind
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