Tanz der Dämonen
nicht ausgesprochen hatte? Gab es solche Anwandlungen bei einem Menschen, der meiner Meinung nach auf nichts Rücksicht zu nehmen hatte, weil er doch eben das war, was er war: der mächtigste Mann der Welt?
Jedenfalls wandte er sich fast abrupt von mir weg und zog eine Klingel. Lakaien öffneten die Tür, und sein Sekretär, der offenbar nur auf ein Zeichen Seiner Majestät gewartet hatte, eilte mit einer Verbeugung herein, um sich nach weiteren Befehlen des Monarchen zu erkundigen.
»Staatsgeschäfte«, sagte der Kaiser mit einem letzten unpersönlichen Blick auf mich und kehrte an seinen Schreibtisch zurück. Dort beugte er sich über einen Stapel Schriftstücke. Jedes einzelne von ihnen hatte das Aussehen eines Dokuments von großer Wichtigkeit. Wiederum fand ich, dass seine Bewegungen die Haltung eines Mannes ausdrückten, der aus strengem Pflichtbewusstsein nicht bereit war, einer tiefen Müdigkeit, die in ihm war, den Sieg zu überlassen.
Ich wurde in einen Raum geleitet, der meiner Bequemlichkeit dienen sollte. Ein Lakai fragte, ob ich eine Zofe zu meiner Bedienung wünsche. Ich verneinte, und es schien mir, dass er mit Erleichterung reagierte. Vielleicht war der provisorische Hofbetrieb, den der Kaiser für kurze Zeit in diesem Haus hatte einrichten lassen, gar nicht auf die Anwesenheit weiblicher Gäste eingerichtet. Das galt bestimmt erst recht für Personen wie mich, die in einem schwer bestimmbaren, nicht offiziellen Verhältnis zur Person Seiner Majestät standen. Mit anderen Worten: Ich war zweifellos ein Problem für den Haushofmeister und seine Bediensteten. Aber das konnte meine kleinste Sorge sein.
Als ich allein war, trat ich ans Fenster und blickte hinaus. Durch kleine Butzenscheiben glomm der Lichtschein der Fackeln. Im Hof war geschäftiges Treiben. Pferde wurden vorbeigeführt. Diener schleppten Kisten und Möbelstücke die Treppen hinab. Man belud großrädrige Wagen. Ich vermutete, der Kaiser werde diesen Ort sehr bald verlassen. Das schienen bereits Vorbereitungen zu sein.
Als ich mich umwandte in den dunklen Raum, in dem ein Diener hier und da Kerzen angezündet hatte, überfiel mich plötzlich von neuem jenes wohlbekannte Gefühl, das wie ein Schwindel war und mit wütender Gewalt auf mich einstürzte: Alles dies ist nicht wirklich! Es muss ein Traum sein, einer von meinen vermaledeiten Träumen, ein wirrer, närrischer, unsinniger Traum, ein uferloser Traum, der mir nur deshalb wirklich vorkommt, weil er kein Ende nimmt und so voll trügerischer Wahrheit ist. Aber nichtsdestoweniger ist er ein Nachtmahr und nichts anderes! Das Boot ist umgekippt! Traum und Leben haben sich vertauscht! Es herrscht die Schimäre!
Vielleicht werde ich gleich erwachen und sitze in meinem Bett, daheim, bei Vater Sebastian. Vater Sebastian – auch Euer Brief ist nur Täuschung! Wie könntet Ihr tot sein! Und alles, was seitdem durch meinen Kopf braust, wird sich als Trugbild erweisen. Ahasver und die seinen, all die verschlungenen Wege durch eine chaotische Welt, die ich gegangen zu sein glaube … Die Würfel rollen! Die Füße tanzen! Die Funken sprühen! Das Messer blitzt!
Kann das sein? Ich habe gelebt und hatte Träume. Die Träume waren vom Leben geschieden und verflüchtigten sich, sobald ich erwachte. Jeder Traum war eine fremde Welt, und keiner glich dem andern. Dann beginnen die Träume um sich zu greifen und ineinander zu fließen: Traum knüpft an Traum, und ich erwache immer seltener – und schließlich überhaupt nicht mehr.
»Kat, du verlierst den Verstand!« Das muss ich laut gesprochen haben.
Ich finde mich wieder auf den Polstern eines gewaltigen Sessels. Zitternd, die Knie bis ans Kinn gezogen und die Arme krampfhaft darumgeschlungen.
Ich verstehe nichts mehr.
Woran kann ich mich halten?
Es ist alles nicht wahr!
ANKETT
Die Unruhe wuchs im ganzen Haus. Stimmen und Schritte. Kutschen fuhren vor, denen vornehme Gäste entstiegen. Der Empfang des Kaisers begann.
Ob man mich vergessen hatte?
Fast wünschte ich, es sei so. Aber schon klopfte es an der Tür, und ein Diener lud mich devot ein, ihm in den Festsaal zu folgen.
Was war das nun: Wahnideen? Oder schlicht die Wirklichkeit?
Jedenfalls gab es kein Verkriechen, und Zweifel waren sinnlos. Ich warf sie über Bord.
»Einen Augenblick noch«, sagte ich. »Ich werde klingeln.«
Der Diener verbeugte sich und schloss noch einmal die Tür. Ich ging vor den Spiegel. War mein Aussehen, wie es sein sollte?
Zu blass,
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