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Tanz der Dämonen

Tanz der Dämonen

Titel: Tanz der Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Westfehling
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genug war vorhanden! Aber ich war auch neugierig gewesen und viel zu erstaunt, um wirklich nüchtern über die Folgen nachzudenken.
    »Sire … Jeder würde sich erst einmal fürchten.«
    »Erst einmal, nun gut. Aber warum sich fürchten? Bin ich nicht im Namen Gottes ein Vater meiner Völker?«
    »Viele fürchten auch ihren Vater, zum Beispiel wenn er streng ist …«
    »Ich bin gerecht. Ich achte die Gesetze.«
    Ich schwieg betreten. Zwar zögerte ich, ihm erneut zu widersprechen, aber auch das Gegenteil, nämlich zuzustimmen, wäre mir respektlos erschienen. Allerdings wollte er wohl gar keine Antwort hören.
    »Mein Leben ist Verantwortung«, sagte er fest.
    Das klang fast, als wolle er sich vor mir rechtfertigen. Ob er tatsächlich nicht wusste, wie seine Untertanen über ihn dachten? Und ob er es wohl wirklich wissen wollte?
    Ich riskierte es zu sagen: »Glaubt mir, Sire, die meisten Menschen blicken nur bis an ihre Nasenspitze …«
    »Vom einfachen Volk hast du mehr gesehen als ich«, gab er zurück. »Ich begegne immer nur Untertanen – und wann sagt mir einer von denen die Wahrheit?«
    Und nach einer kurzen Pause: »Sag du mir, was du denkst!«
    Ob das sein Ernst war? Ob er deshalb mit mir reden wollte? Mit mir … mit Kat, die in zerschlissenen Männerkleidern steckte und sich immer noch fragte, ob ihr Vater wirklich ihr Vater sei?
    »Sire«, sagte ich und ließ mich gegen alle Absicht davontragen, »die Menschen sind Menschen, und das heißt wohl, sie sind schwach. Kaum einer kann bestehen, wenn er nicht hier und da ein Gebot übertritt. Und wenn sie gefehlt haben, haben sie Angst vor Strafe. Ich habe gute Freunde …«
    »Freunde«, sagte er. »Erzähl mir, was Freunde sind. Ich habe keinen Freund und werde vielleicht nie einen haben.« Während ich zauderte, fiel mir ein: Fast wörtlich dasselbe hatte der Magus über sich gesagt.
    Ich gab mir einen Ruck und begann mit Vorsicht: »Drei von meinen Freunden sind Bettler. Sie heißen Bär und Zunge und Knaller …« Und obwohl ich zauderte, erzählte ich ihm, wie sie meine Freunde geworden waren – alles, soweit es nichts war, das ihnen hätte schaden können. Schließlich, obwohl ich ihn nicht für falsch hielt: Weiß denn einer, was solche Herren denken?
    Ich sprach auch von Vater Sebastian und von Ahasver, von Sambo und Pietro und davon, wie wir uns seit dem Sommer durchgeschlagen hatten. Von unseren Schlitzohrigkeiten und Kunstgriffen brauchte er im Einzelnen nichts zu wissen. Es war seltsam, mit welcher Aufmerksamkeit er zuhörte.
    Als ich geendet hatte, füllte er uns zwei Gläser Wein, er tat es selbst und ließ nicht einen Diener kommen. Dann fragte er beiläufig: »Wie alt bist du eigentlich?«
    Wachsam! »Sechzehn, glaube ich. Mein Vater sagt aber vierzehn …«
    Er fiel in Schweigen, so dass ich schon bezweifelte, ob er das Gespräch überhaupt fortsetzen wolle. Dann begann er zu erzählen, und mein Staunen wuchs: »Ich war ein einsames Kind«, sagte er, »und melancholisch, so heißt es. Als ich sechs war, wurde ich Oberhaupt des Ordens vom Goldenen Vlies.« Er berührte sein Medaillon mit der Hand. »Als ich sieben war, gab man mir bereitsStaatspapiere zum Unterschreiben. Mit zehn saß ich im Staatsrat. Verstehst du? Mein Leben ist Verantwortung, und es ist überschattet von der Sorge, etwas falsch zu machen, das ich verpflichtet wäre richtig zu tun.«
    »Auch Ihr kennt also die Angst?«
    »Ich sah einmal den Grabspruch eines Ritters in Spanien. Da stand: ›Er kannte keine Furcht.‹ Ich soll gesagt haben: ›Wer keine Furcht kennt, hat nie eine Kerzenflamme angefasst.‹ Meine Höflinge erzählen diese Geschichte. Ich selbst kann mich daran nicht erinnern.«
    Ob er sich bewusst war, dass er meine Frage in Wahrheit nicht beantwortet hatte? Oder hatte er es doch getan?
    Er fuhr fort: »Als ich dreizehn war, beschlossen meine beiden Großväter – das waren, wie du vielleicht nicht weißt, Kaiser Maximilian und König Ferdinand von Spanien; mein Vater war damals schon tot, und meine Mutter, so behauptete man, lebte in geistiger Umnachtung –, die beiden also beschlossen in Abstimmung mit König Heinrich von England, meinem Oheim, dass jeder von ihnen einen adeligen Herren, der sein Vertrauen besaß, als meinen Kämmerer entsenden werde. Jeder von diesen hatte einen Schlüssel zu meinem Zimmer, und sie wechselten sich ab, bei mir zu schlafen. Ich wurde also auf subtile Weise überwacht. Ich will sagen: Von da an war ich nie alleine – und

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