Tanz der Dämonen
immer einsam …«
Ich unterbrach ihn nicht, obwohl mir eine Frage auf den Lippen lag. Es schien ihm Ruhe zu geben, mit mir zu sprechen. Er trank mit Maß und merkte gar nicht, dass ich an meinem Glas nur nippte.
Dann beantwortete er meine brennendste Frage, ohne dass ich sie gestellt hatte: »Als ich deine Mutter kennen lernte, sah sie aus wie du. Hat dir dein Vater das nie gesagt? Nun gut … Er hat sie erst etwas später gekannt.«
Ich wagte kaum zu atmen, als das Gespräch an diesem Punkt verharrte. Ich hätte antworten können: »Mein Vater hat mir nur sehr wenig von dem gesagt, was ich hören wollte.« Aber ich schwieg. Ich sprach auch nicht aus, dass er selbst, der Kaiser, es ganz genausomachte. Immerhin war er jetzt von selbst auf das gekommen, was mich anging.
»Ich war so verliebt, wie man es nur sein kann, wenn man eigentlich noch ein Kind ist. Was sie empfunden hat, weiß ich nicht genau, denn wir sind so gut wie niemals allein miteinander gewesen. Der Hof führt eine strenge Aufsicht! Wäre nicht die Hilfe meiner Schwester gewesen, ich hätte sie niemals geküsst … Sie hat nie mit dir davon gesprochen?«
»Niemals, Sire, ich schwöre es … Ich war wohl noch zu jung. Und dann war sie tot.«
Jetzt wird er fragen, wie sie gestorben ist, dachte ich. Aber das tat er nicht. Es war, als habe er bereits wieder das Thema gewechselt. Deshalb fasste ich mir ein Herz und stellte die Frage, die mich am meisten bedrängte: »Wann seid Ihr meiner Mutter begegnet, Sire?«
Er antwortete, ohne nachdenken zu müssen und ohne zu zögern: »Es war an meinem vierzehnten Geburtstag. Ich wusste schon sehr gut, was eine Frau für einen Mann bedeutet.«
Blitzschnell überschlug ich: Das war also im Februar 1514. Bis November sind es neun Monate!
Er sagte: »Sie war so voll Leben und voll offener Ehrlichkeit. Es ist nämlich so: Ich sehe Menschen fast immer nur, wie sie nicht sein sollten: boshaft und eigenwillig, unbotmäßig, missgünstig, unterwürfig oder, wenn es anders ist, dann opportunistisch und gierig, verschlagen, schmeichlerisch, unterwürfig. Nie zeigt mir einer sein wahres Gesicht, keiner öffnet mir sein Herz. Ich mag die Speichellecker so wenig wie die Aufrührer. Verstehst du das?«
»Aber viele sind auch … stolz und mutig, mitleidig und hilfsbereit.«
»Nicht bei mir. Nicht, wenn man Kaiser ist und für sie die Verantwortung trägt vor Gott dem Herrn. Da sind sie für dich oder gegen dich. Die einen fürchten dich, und die anderen versprechen sich etwas von dir.«
»Ihr seid mächtig, und sie sind schwach!«
»Ich habe sie unter dem Fuß, oder ich habe sie im Nacken!«
»Das ist es eben, Sire, sie fürchten Euch.«
»Sie haben Grund dazu!«
»Aber das Mitleid …?«
»Barmherzigkeit ist eine Pflicht. Bei der Salbung wird von der Barmherzigkeit gesprochen, die dem Haupt des Erwählten niemals fehlen soll.«
»Ich glaube, Ihr seid sehr einsam, Sire.«
Sein Blick traf mich mit einem Ausdruck des Erstaunens. Dann lächelte er, starr. Es schien ihm ein Gedanke zu kommen, den er nach kurzem Zögern aussprach: »Ich will dich etwas fragen. Antworte mir ehrlich: Was tätest du ?«
»Sire, ist das Euer Ernst?«
»Was, glaubst du, würdest du tun, wenn du auf meinem Platz wärst?«
Eine solche Frage hatte ich weniger als alles andere erwartet. Natürlich war ich verwirrt und erschrocken. Wer wäre das nicht gewesen? Möge jeder sich selbst befragen, was er in meiner Lage geantwortet hätte.
Ich stammelte: »Sire, ich – ich bin zu dumm, als dass …«
»Du bist nicht dumm. Du bist nur noch ein Kind. Aber du bist auch kein Kind mehr. Außerdem sind es manchmal Kinder, durch die Gott die Wahrheit kundtut. Der heilige Augustinus hat eine große Lehre durch ein kleines Kind empfangen.«
»Der Knabe am Meer …«
»Du erstaunst mich. Ja. Der Knabe sagte: ›Ich tue das Gleiche, was du tust …‹«
»›Ich versuche das Meer auszuschöpfen mit einem Löffel, und Ihr wollt Gottes Wesen ergründen – mit Eurem Verstand.‹«
Er nickte, als hätte ich ihm damit beigepflichtet. Meine Verwirrung wuchs.
»Sire, Ihr treibt Scherz mit mir! Wie könnte ich Euch raten … Das ist ein grausames Spiel.«
»Es ist kein Spiel. Und ich will auch nicht, dass du mir rätst. Ichmöchte nur hören, was du denkst. Du hast nichts zu fürchten, was immer du vorbringst. Ich bitte dich darum.«
»Ich kann nicht.«
»Dann will zuerst ich dir etwas sagen. Ich habe einen Brief erhalten. Heute. Er liegt da drüben.
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