Tanz der Dämonen
des Kaisers stand. Jedes Ticken, so schien es mir, war wie ein glühender Tropfen, der auf mich niederfiel. Dann endlich drehte er sich wieder um und blickte mich nachdenklich an.
»Du bist nicht dumm«, sagte er. »Ich habe schon verstanden, was du sagen willst. Wenn man es recht betrachtet, bist du ein Protestant.«
»Sire!«
»Reg dich nicht auf! Du verstehst mich falsch. Ich meine deinen selbstbewussten Geist. Ich will dich nicht tadeln. Du weißt es gar nicht, aber das ändert nichts an der Tatsache. Hör mir zu: Du musst nicht glauben, dass ich diesen Menschen keinen Respekt entgegenbringe … auf gewisse Weise. Kurzum: Ich habe dich gefragt, und du hast geantwortet, und das ist gut so. Ich weiß ein freies Wort zu schätzen.«
»Vergebt mir …«
»Versteh doch: Da ist nichts zu vergeben! Übrigens: Du gleichst jetzt mehr als zuvor deiner Mutter – wenn du dich so aufregst, meine ich …«
Er trat zu mir heran, so dass er dicht vor mir stand. Ich war aufgesprungen, als er mich einen Protestanten genannt hatte; er überragte mich um mehr als Kopfeslänge.
»Keine Angst«, sagte er. »Hab keine Angst.«
Er legte den Arm um meine Schulter und beugte sich über mich. Ich fühlte, wie er einen Kuss auf meinen Scheitel drückte, einen seltsam scheuen Kuss, als wäre es der Kuss von einem, der zum ersten Mal in seinem Leben ein Mädchen berührt.
Es ist der Kaiser, dachte ich. Niemand würde mir das glauben! Und ich fühlte tatsächlich keine Angst. Er ist auch ein Mann, ein Fremder, er hält dich in den Armen, und so, wie er dich vorhin gesehen hat, bist du praktisch halb nackt gewesen!
Aber da war nicht die geringste Unruhe in mir. Es war gewissermaßen ein väterlicher Kuss.
»Ich habe keine Angst, Sire«, sagte ich.
Wir standen so eine Weile. Dann zog er tief den Atem ein und ließ mich los. Es wurde mir klar, dass nun doch meine Hände zitterten. Er ging zwei oder drei Schritte bis zu seinem Schreibtisch und legte die Hand auf einen Stapel der zahlreichen Papiere, die dort auf ihn warteten. Es kam mir vor, als versuche er, sich an ihnen festzuhalten. Dann nahm er einen Brief, vielleicht den, von dem er vorher gesprochen hatte, und steckte ihn unter sein Koller. Er schien zufinden, dass dieser nicht zu all den anderen gehöre – vermutlich diplomatische Noten, Regierungserlasse und allerlei Verwaltungssachen. Er wirkte auf seltsame Art hilflos.
Ob er vielleicht fand, er habe mich viel zu viel von seinem Inneren sehen lassen?
Wahrscheinlich wünschte er, ich möge nun gehen – oder besser: ich möge schon gegangen sein. Aufs Neue schien er nicht recht zu wissen, auf welche Art er diese Begegnung am besten beenden könne. War es das?
Er räusperte sich, und plötzlich blickte er mich wieder an, so dass ich aus meinen verschlungenen Gedanken geradezu aufschreckte.
»Wenn du einen Wunsch hättest«, sagte er, »etwas, das ich erfüllen kann – und ich kann bisweilen viel erfüllen –, etwas für dich persönlich. Was könnte das sein?«
Ich versuchte meine Gedanken zu ordnen. Als ich an diesem Abend zu ihm kam, war ich ohne eine Idee gewesen, was er wollen könnte, und eigentlich war ich es immer noch, jetzt ebenso wie am vorangegangenen Abend. Was um alles in der Welt erwartete die Majestät des Kaisers ausgerechnet von mir und niemand anderem? Konnte denn eine solch unbegreifliche Einladung etwas anderes als Gefahr bedeuten? So war ich zuerst wie gelähmt gewesen, und dann hatten mich meine Neugier und die Sorglosigkeit der Jugend, so denke ich, entgegen aller Vernunft dazu bestimmt, mich auf ein Spiel einzulassen, das ich nicht durchschaute. So wie ich fast nichts von dem wirklich durchschaute, was um mich her geschah. Torheit war es, dass ich darauf eingegangen war.
Und nun hatte der Kaiser mir einen Wunsch freigegeben, wie es sonst nur im Märchen vorkommt. Womöglich wartet jeder Mensch sein Leben lang vergeblich auf so ein Wunder. Und ich stand da und stotterte: »Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Sire … ich weiß nichts.«
Was um alles in der Welt wollte er denn hören? Schenkt mir Eure goldene Kette? Gebt mir einen Grafentitel? Überlasst mir Euer halbes Reich? Das Einzige, was ich wirklich wünschen konnte, war:Mein Vater möge nicht so sein, dass ich ihn fürchten muss. Und diesen Wunsch konnte er mir wohl kaum gewähren.
Er sah mich nachdenklich an und lächelte. »Ich habe mir gedacht, dass du nichts zu antworten wüsstest«, sagte er. »Du wärst nicht du, wenn es anders
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