Tanz der Dämonen
hatte.
Während ich durch die Gasse lief, hörte der Flockenfall auf. Nur ein feiner, eisiger Staub rieselte wie Puder von den Dächern nieder, sobald der Wind sich regte. Meist ging aber kaum ein Hauch. Der Schnee hing in Klumpen an meinen Stiefeln. Das knarrte bei jedem Schritt. Ich lauschte auf dieses Geräusch und vergaß das unheimliche Gerede der Alten.
Ich blieb stehen und nahm einen Schluck aus dem Krug. Es schmeckte gut und wärmte mich von innen. Ich trank noch einmal.
Schön ist das, dachte ich. Selbst der Unrat in den Gossen istzugedeckt. Nur hier und da schlug die stinkende Brühe bereits wieder durch das weiße Tuch und bildete pissgelbe und kackbraune Flecken. Ein Schwarm Spatzen stob von einem Abfallhaufen hoch und streifte schwer beladene Zweige. Schnee stäubte auf mich nieder und verhüllte für kurze Zeit die Sicht.
Wie hell es immer noch war, obwohl es schon Nachmittag sein musste, eine Zeit, zu der sonst in diesen Tagen längst die Schatten aus den Winkeln krochen. Das machte der Schnee!
Ich war schon am Eckstein vorbei, den Krug fest an mich gedrückt, und schritt auf den dunklen Tordurchgang zu. Dämmerung setzte ein. Noch kürzlich hätte ich mich gefürchtet. Welche Ängste hatten mich verfolgt! Heute schienen sie weit weggerückt zu sein. Wieso fühlte ich mich plötzlich so sicher? Ob das vom Gewürzwein kam? Der Krug war merklich leerer. Oder von der Nähe meiner Freunde? Oder davon, dass ich so jung war? Alles, was mich bedroht hatte, kam mir unwirklich vor – wie ein überstandener Albtraum. Selbst die Worte der Alten änderten nichts an meiner Gewissheit: Alles wird gut!
Da bog ich in die lange Gasse ein – und zuckte zurück. Närrin, die ich war! Wie konnte ich mich in Sicherheit wiegen?
Da ist ein schwarzer Reiter, riesig groß. Er versperrt den Weg, und wie er auf mich zukommt, streift seine Satteldecke rechts und links die Mauern.
Er zieht ein langes Schwert und gibt seinem Pferd die Sporen. Das gilt mir!
Wohin?
Rechts in die Quergasse?
Zu spät! Was sonst?
Ziellos beginne ich zu laufen, kämpfe mich durch den Schnee. Flüssigkeit schwappt aus dem Krug. In meinen Ohren dumpfer Hufschlag! Schnauben in meinem Nacken! Schon so nah!
Ich bin zu langsam. So werde ich niemals entkommen!
Verzweifelt werfe ich mich herum und schleudere mit aller Kraft den Krug in das Gesicht des Reiters – getroffen! Jäh bäumt sich derKerl im Sattel auf; beide Arme hoch in der Luft, fällt er nach hinten, ungläubiges Staunen im Blick, gleitet über die Kruppe des bockenden Pferdes und stürzt zu Boden. Ein Bein im Steigbügel verfangen, so wird er fortgerissen und durch den Schnee geschleift. Ich presse mich an die Mauer. Der Kerl knallt gegen den Prellstein. Bleibt liegen. Riemen gerissen. Rührt sich nicht.
Da liegt sein Schwert vor meinen Füßen. Ich greife danach, doch es entgleitet mir wieder, ich höre Schritte und renne davon, so schnell ich kann.
Verdammt!
Wieder Stimmen in meinem Rücken! Und jetzt: Gestalten im Halbdunkel! Eine links an der Hofmauer. Noch eine. Ein Knall, der zwischen den Hauswänden widerhallt. Ein schrilles Wiehern. Wer schießt? Und auf wen? Ich rieche Pulver und muss an Ahasvers Tod denken.
Stimmen nun auch vor mir!
Ich haste am Mauerwerk entlang und rüttle an den Türen. Ist denn nirgends eine Ausflucht? Wohnt keiner in diesen Häusern? Die braven Bürger von Köln! Wie schnell sie den Riegel vorschieben, wenn Gefahr in der Luft liegt!
Da – das wäre ein Durchgang gewesen, aber jetzt bin ich schon dran vorbei. Zurückzulaufen wage ich nicht. Plötzlich greift ein Arm aus einem Mauerwinkel, packt meinen Kragen und zerrt mich in einen Toreingang, den ich gar nicht wahrgenommen habe. Wer ist das? Ich sehe nur einen Mantel und eine Kapuze. Die Hand, die mich weiterzieht, ist hager und sehnig.
Wir überqueren eine breitere Gasse. Ein Pferd ohne Reiter prescht vorbei. Mit einem Blick erfasse ich einen blutigen Körper im Schnee. Wieder laufen! Zwei Häuser weiter. Der Unbekannte im Mantel späht durch eine schmale Pforte.
»Es ist vorbei«, sagt er. »Die haben genug.«
Er schlägt die Kapuze zurück und lächelt spöttisch. Es ist der Magus. Dieser seltsame Mann! Nicht einmal außer Atem! Lernt man das in Studierstuben und Zauberküchen?
In der Gasse herrschte Ruhe. Der Schnee schien bereits zu tauen. Die Luft kam mir wärmer vor.
»Ich weiß schon«, sagte der Magus. »Du bist immer dabei, wenn es irgendwo Ärger gibt.«
Ich holte tief Luft.
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