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Tanz der Dämonen

Tanz der Dämonen

Titel: Tanz der Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Westfehling
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klopfte mir begütigend auf den Rücken.
    »Knaller darfst du nicht ernst nehmen«, sagte er. »Zunge ist ganz in Ordnung. Nur etwas blöd, aber gar nicht so sehr, und eben stumm. Verstehst du, mein … hm … mein Junge?«
    »Wie meinst du das?«, fragte ich und beobachtete verstohlen seine schorfig zusammengekniffenen Augenlider. »Bist du denn nicht …«
    »Blind? Klar, blind wie ein Maulwurf, glaub es ruhig.«
    Damit tätschelte er mir den Arm, und wir beließen es dabei. Wir mussten uns um unsere Speise bemühen. Mönche schenkten sie aus. Es gab reichlich. Es tat gut.
    »Gibt nicht jeden Tag Fleisch drin!«, grunzte Knaller und schmatzte. »Aber wart ab, wenn die Woche Dreikönigen ist!«
    Warum man ihn Knaller nannte, wusste ich bald. Es hatte mit seiner Verdauung zu tun. Der Blinde hatte den Spitznamen Bär. Und der passte ebenfalls.
     
    Am Nachmittag gingen die drei Bettler wieder an ihre Stammplätze und nahmen mich mit. Ich hatte ihnen inzwischen das Wichtigsteüber mich erzählt, und es schien mir, dass sie mich würdig fanden, in ihren Kreis aufgenommen zu werden. Ungefähr so, wie jemand einen kranken Vogel oder eine streunende Katze aufnimmt.
    »Du wirst uns Glück bringen!«, behauptete Bär. Er nahm Knaller auf den Rücken, was ihm bei seiner Statur gar nichts ausmachte, und der sagte ihm zum Ausgleich, wohin der Weg ging. Sie waren ein denkwürdiges Gespann, die beiden.
    Zunge saß regelmäßig in der Nähe des Domchors, da, wo breite Stufen zu der Kirche hinabführen, die man Mariengraden nennt; von hier führte der Weg weiter bis zum Rhein hinunter. Viele Leute kamen dort vorbei. Rasch erkannte ich, dass kein anderer Bettler wagte, ihm diesen guten Platz streitig zu machen. Überhaupt herrschte, wie ich allmählich bemerkte, ein eigenes Gesetz unter den Menschen, die in der Stadt dem Bettel nachgingen, und ein Fremder, der ihnen nicht genehm war, hätte einen schweren Stand gehabt.
    Zunge verdankte seinen Erfolg bei den Vorübergehenden vor allem seiner unwandelbar freundlichen und dennoch wenig unterwürfigen Art. Er schien Stammkunden zu haben, die ihm regelmäßig ein Scherflein zukommen ließen, und manche sprachen ein paar belanglose Worte zu ihm, womöglich gerade deshalb, weil keine Antwort zu erwarten war. Andere Bettler gingen dagegen unverschämt vor; sie zeigten scheußliche Gebrechen oder offene Wunden, wenn das auch gegen die städtische Verordnung war, wie ich bald schon zu hören bekam. Manche wiesen die Bürger auf die Höllenqualen hin, die jedem Hartherzigen sicher seien.
     
    Gegen Abend sammelte sich viel Volk um den Dom. Es stand ein Vespergottesdienst bevor, zu dem edle Gäste erwartet wurden; wahrscheinlich würde sogar der Kaiser kommen, der sich übrigens bereits seit Weihnachten in der Stadt befand. Jedenfalls erschienen Wachsoldaten, die alle Bettler aus der Umgebung der Kathedrale vertrieben.
    »Wie kann man den hohen Herren euren Anblick zumuten?«, rief einer lachend und drohte scherzhaft mit seiner Hellebarde.
    Bevor Zunge der Anordnung folgte und mich mitzog, antwortete er mit einer obszönen Geste, ohne dass er seinen freundlichen Gesichtsausdruck verlor.
    Wir trafen Bär und Knaller an einem Torbogen in einem ruhigeren Viertel der Stadt.
    »Der Kleine muss was lernen«, sagte Knaller. »Am besten fängt er gleich damit an.«
    Zunge nickte und zeigte auf ein bestimmtes Haus, zu dem wir uns alle gemeinsam begaben. Mit Schrecken begriff ich, dass sie mich bereits für einen der ihren hielten und mich zum Bettler ausbilden wollten. Ich hatte mich in den letzten Wochen an manche wenig ehrbare Tätigkeit gewöhnt, aber der Bettel war nicht dabei gewesen. Dennoch schien es mir nicht richtig zu sein, das Ansinnen meiner Beschützer abzulehnen.
    »Am besten hast du stets eine rührselige Geschichte bereit«, sagte Knaller.
    »Am besten bleibst du bei der Wahrheit«, erklärte Bär. »Dass du dich verlaufen hast und dir einer dein Geld gestohlen hat und dass du hier keine Menschenseele kennst.«
    »Er kennt doch uns!«, protestierte Knaller.
    »Hast du denn eine Seele?«, fragte Bär.
    Zunge stupste mich vor die Hintertür des Hauses und nickte aufmunternd. Eine einfache, grün gestrichene Tür, deren Anblick ich nie vergessen werde. Ich hob die Hand, um zu klopfen, aber ich konnte es nicht. Gepeinigt blickte ich mich um. Die drei waren nicht zu sehen. Sie hatten sich hinter der nächsten Ecke verborgen.
    Da beugte Zunge sich vor, ein Stein flog an mir vorbei und schlug

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