Tanz der Dämonen
Gleichgewicht hielt. Dann ließ er die Ungeduld der Menge wachsen; schließlich warf er alle Schuhe bunt durcheinander hinab. Was folgte, kann man sich denken: Jeder Einzelne dort unten dachte an nichts anderes als daran, so schnell wie möglich seinen Schuhzurückzubekommen, Streit flackerte auf, und im Nu war eine allgemeine Prügelei im Gange.
»Sie haben sich alle getummelt wie die Narren! Ich sah ihnen aus der Höhe zu und klatschte Beifall. So viele Beulen und blaue Augen auf einmal habt ihr noch nie gesehen!«
Die Geschichte machte allen Spaß. Allerdings konnte ich das Gefühl nicht abschütteln, ich hätte sie, und zwar ziemlich genau so, wie Polonius sie erzählt hatte, schon ein anderes Mal und in einem ganz anderen Zusammenhang gehört. Seltsam!
Aber eigentlich war mir das gleichgültig. Im Grunde war mir die ganze Welt gleichgültig. Alles drehte sich und kreiste um mich, und ich musste ständig lachen.
Alle hatten ihren Spaß! Eigentlich gab es nur einen Wermutstropfen im Glück dieses Abends. Ein neuer Gast war eingekehrt, der für einige Zeit bleiben wollte. Es war etwas an ihm, das mich beunruhigte. Allerdings konnte ich nicht recht sagen, was. Vielleicht die seltsamen Blicke, die er mir manchmal zuwarf, wenn er sich unbeobachtet fühlte. Oder die Gleichgültigkeit, die er vortäuschte, sobald ich in seine Richtung sah? Was wollte er bloß? Ich hatte schon längst begriffen, dass es Männer gab, die sich für mich interessierten, gerade weil sie mich für einen Jungen hielten. Aber war das hier ein solcher Fall? Der Mann war in mittleren Jahren, hatte einen kantigen Schädel und trug Haar und Bart kurz geschoren. Irgendwie wirkte er gewalttätig. Unauffällig fragte ich Mutter Gluck nach ihm. Für einen Augenblick fiel ein Schatten auf ihren Frohsinn.
»Ich kenne ihn nicht«, sagte sie. »Er sagt, er heißt Gilbert. Will Puppenspieler sein.«
»Und – Ihr glaubt ihm nicht?«
»Nein. Aber er hat bezahlt, und er tut nichts, was nicht richtig wär … Verstehst du? Man soll sich nicht zu viel Gedanken machen.«
Ich nickte und wusste, dass sie genauso empfand wie ich.
Obwohl ich es immer schwieriger fand, das Glas an den Mund zu heben, ließ ich den Fremden nicht aus den Augen. Einmal hatteich den Eindruck, der Kerl wechsele ein Zeichen mit Ahasver. Eine schnelle Bewegung mit der Hand, die ich nicht genau erkennen konnte. Ahasver beantwortete sie mit einem leichten Kopfnicken, ohne eine Miene zu verziehen. Mehr ist mir an diesem Abend nicht aufgefallen. Außer, dass am Ohr des Fremden etwas aufblitzte. Er trug einen goldenen Ohrring. Am Ende des Fests war er aus der Gaststube verschwunden. Ich hatte es erst bemerkt, als er schon weg war. Mein Kopf fühlte sich inzwischen an wie ein Schiff auf hoher See.
Auch Ahasver hatte sehr viel mehr getrunken, als ihm zuträglich war. In diesem Zustand wurde er für kurze Zeit sehr gelöst und beinahe heiter. Er ließ sich von Polonius an gemeinsame Erlebnisse erinnern, die längst vergangen waren. Offenbar hatten die beiden in früheren Jahren manches Abenteuer miteinander bestanden. Dennoch schien es mir, dass Ahasver nicht gerne über Erinnerungen nachdachte. Zwar trank er dem Seiltänzer freundschaftlich zu und rief dabei: »Auf die alten Zeiten, mein Bester, als die Sonne noch wärmer schien und die Frauen noch williger waren und das Wort eines Mannes noch etwas gegolten hat!« Aber von diesem Augenblick an schlug seine Stimmung um. Er wurde übellaunig – wie einer, der nur notgedrungen gute Miene zu dem Treiben ringsum macht, das ihm in Wahrheit gegen den Strich geht. Nicht viel später stand er auf und verließ wortlos die Stube. Er zog das hinkende Bein mühsam nach. In der Tür blieb er kurz stehen, den Rücken uns zugekehrt. Er schwankte.
Pietro hingegen war an diesem Abend in seinem Element. Er schien mit Gewalt auszuprobieren, wie viel er trinken konnte, ehe er umfiel, und irgendwann landete er unter dem Tisch.
Uneingeschränkt vergnügt zeigte sich auch Sambo.
»Seht euch den Heiden an!«, krähte Polonius.
»Bin kein Heide!«, erwiderte Sambo. »Guter Christ! Habt nie gehört: Reich von Priesterkönig Johannes? Tief im Land Afrika!« Alle lachten fröhlich über diesen Scherz. Sambo tanzte ausgelassen mit unserer Wirtin im Arm.
Ich weiß nicht mehr, wie ich nach dem Fest auf mein Schlaflager gekommen bin. Dort habe ich lange wach gelegen und ziellos gegrübelt. Gegen Morgen schreckte ich aus unruhigem Schlummer hoch. Waren mir also
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