Tanz der Dämonen
doch noch die Augen zugefallen!
Pietro sprach im Schlaf. Das tat er oft. Sambo war nicht bei uns. Ich hätte sonst bestimmt sein vertrautes Schnarchen gehört, und es hätte mir gesagt, dass alles in Ordnung sei.
Ich glaubte mich zu erinnern, dass er mit Mutter Gluck in ihrer Kammer verschwunden war.
Weshalb nur war ich gerade jetzt erwacht? Anscheinend nicht aus äußerem Anlass, sondern durch den Nachhall von etwas, das im Innern meines Kopfes umherging und mich bis in den Schlaf hinein beunruhigte … Ja, das musste es sein. Ich hatte geträumt: Ahasver beugte sich über mich, wie er es manchmal tat, und wiederholte etwas, das er mir zugerufen hatte – gestern – in jenem Haus! Ich hörte wieder seine Stimme, als er mich aus meinen Schreckvisionen riss und grob ohrfeigte. »Verdammte Närrin!«, hatte er gerufen. Es traf mich, als schlüge er mich erneut. »Närrin!« Er wusste also über mich Bescheid!
REIKÖNIGENTAG
Ich stand auf und ging leise umher. Die Nachwirkung des Weins war weitaus schlimmer als das letzte Mal. Mein Kopf schmerzte entsetzlich. Da tat es mir gut, in Bewegung zu sein. Ich spähte aus der Dachluke. Ein erster Schimmer von Morgenlicht ließ die Umrisse der Dächer und Türme schattenhaft hervortreten. Bald würde das Leben eines neuen Tages beginnen.
Ahasver wusste, dass ich ein Mädchen war. Wie lange schon? Von Anfang an? Warum hatte er das vor mir verborgen?
Und er steckte mit diesem mörderischen Kerl unter einer Decke – dem Mann mit der Armbrust, der auch zum Herrn Arndt Verbindung hatte. Er war es doch wohl gewesen, der bei meinem ersten Besuch im Haus mit dem Löwen im Nebenzimmer versteckt war. Jedenfalls hatte sein Pferd im Hof gestanden. War er auch der Mörder des Kaufmanns? Gewiss, er hatte mir das Leben gerettet, aber aus welchem Grund? Und Ahasver? Kein Zweifel, er war selbst ein Schurke. In was für eine dunkle Geschichte hatte er uns hineingezogen?
Jede neue Überraschung verwirrte mich mehr. Ich musste mir eingestehen, dass ich in Wahrheit noch keinen Schritt vorwärts gekommen war. Und mein unsichtbarer Vater? Die Suche nach ihm gestaltete sich viel schwieriger, als ich erwartet hatte. Fast schien sie mir aussichtslos zu sein. Wenn er tatsächlich in Köln war, spielte er Versteck mit mir. Weshalb? War er einer unserer Feinde?
Die Stadt, die ich mir in meinen törichten Hoffnungen als Ort einer freien Zukunft vorgestellt hatte, trat mir nun völlig anders entgegen: ein finsteres Labyrinth voll enger Wege, Sackgassen und heimtückisch verborgener Fallen. Nichts als rätselhafte Andeutungen, nebulöse Gefahren und handgreifliche Lügen. Würde es mir je gelingen, dieses widerwärtige Gespinst zu zerreißen?An diesem Morgen schliefen fast alle lang. Ahasver und Pietro ließen sich sogar erst am Abend blicken. Ich saß allein mit Polonius beim Frühstück. Der »König« war wortkarg und wirkte eingefallen. Von Zeit zu Zeit schüttelte ihn ein krampfhafter Husten. Dann wandte er sich ab und hielt ein Tuch vor den Mund. Einmal ließ er es nicht rasch genug verschwinden, so sah ich, dass Blut daran war. Ich musste an meine Mutter denken …
»Für alles im Leben muss man bezahlen«, murmelte Polonius mit einem schwachen Lächeln.
Mutter Gluck hatte in der kleinen Stube ein Bad genommen und ermunterte mich, das warme Wasser zu nutzen und es ihr gleichzutun. Während ich im Zuber saß, stand sie vor der Tür und ließ keinen herein. Auch wusch ich meine Wäsche und war froh über diese Gelegenheit. Mutter Gluck gab mir, was mir fehlte, denn mein Gepäck, das ich auf dem Karren gehabt hatte – so spärlich es auch gewesen war –, würde ich wohl niemals wiedersehen. Meine Stimmung wurde besser. Die Beschwerden, die mir der Wein hinterlassen hatte, waren so gut wie vergessen.
Danach saß ich wieder am Speisetisch, fest in eine Decke gehüllt, bis meine Kleider trocken genug waren, um sie wieder anzuziehen. Ich half Sambo, der glänzender Laune war, beim Ausbessern der Kostüme, die für unsere Auftritte vor Publikum bestimmt waren. Bunter Flitter, Masken für derbe Späße, Bälle zum Jonglieren … Ein größerer Fundus solcher Sachen hatte bei Mutter Gluck in einer Truhe auf uns gewartet. Sonst wären wir hier ohne Hilfsmittel gewesen. Sambo zeigte sich bei handwerklichen Arbeiten sehr geschickt. Aber ich bezweifelte, dass wir jemals wieder auftreten würden. Als niemand sonst sich in der Nähe aufhielt, fragte ich meinen Freund, was er davon
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