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Tanz der Dämonen

Tanz der Dämonen

Titel: Tanz der Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Westfehling
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suchen, um meine drei Freunde zu finden. Heute arbeiteten sie gemeinsam. Das ging so: Sie stellten sich in einer winkligen Gasse zwischen Rathaus und Dom auf, durch welche die Herren vom Rat und manche andere Leute mit Geld zu gehen pflegten. Als Erster war Zunge postiert. Er stand deutlich sichtbar an einer vorspringenden Hausecke, grüßte freundlich und hielt die Hand auf. Der Erfolg war, dass die meisten Vorüberkommenden ihm auswichen, indem sie ganz auf der anderen Seite der Gasse gingen, so dass sie ihn nicht zu bemerken brauchten. Dadurch jedoch kamen sie unvermutet ganz nahe an Bär vorüber, der hinter einem Mauerpfeiler Aufstellung genommen hatte. Er rückte ihnen mit der ihm eigenen Verbindlichkeit auf den Pelz, begrüßte sie höflich, und auch dann, wenn sie ihm nichts gaben, wünschte er einen guten Tag. Nur wenn einer so tat, als habe er auch ihn nicht bemerkt, sagte er mit leisem Sarkasmus: »Einen Dank für Euer freundliches Nein.« Jedenfalls konnte, wer nicht gebewillig war, diesem zweiten Posten nur mit einer raschen Wendung zur Seite entgehen. Aber gerade die, denen auch das gelang, liefen umso sicherer in die eigentliche Falle: So jemand prallte unvermeidlich auf Knaller, der genau an der richtigen Stelle und von weitem nicht sichtbar in einer dunklen Nische lauerte. Und an Knaller – das muss man sagen – kam praktisch keiner vorbei. So wie er da hockte, sah er nicht nur erschreckend aus, sondern er stimmte auch ein markerschütterndes Gezeter an, das die Augen aller Welt auf sein Opfer zog: »O ihr Hartherzigen! Spottet nur über mich erbärmlichen Wurm! Der Herr wird die Geizhälse strafen! Habt Ihr den Tag des Gerichts vergessen? In glühenden Schuhen sollen sietanzen …!« Kurzum, wer durch den Inhalt seiner Worte nicht erschüttert wurde, der zückte die Börse alleine schon deshalb, weil er hoffte, das infernalische Geschrei zu beenden.
    Nach mehreren erfolgreichen Fischzügen gab Bär das Zeichen zum Abbruch des Unternehmens.
    »Genug für heute«, sagte er. »Lasst uns noch bei Mariengraden nach dem Rechten sehen und dann ein wenig ausruhen.«
    »Die Feiern im Dom sind sowieso vorüber«, kicherte Knaller. »Die dicken Geldkatzen gehen jetzt anderswo ihrer Wege!«
     
    Als die Glocken zum Ende der Prozession läuteten, saßen wir unten am Strom auf einer Mauer. Der Himmel hatte sich aufgehellt. Zeitweise brach die Sonne durch. Es lagen viele Schiffe am Ufer, fest vertäut hinter den Gittern aus eingerammten Balken; diese waren dafür angelegt, die Eisschollen abzufangen, welche mit der Strömung herantrieben. Wir beobachteten die Schiffsleute. Ein eigenes Völkchen, ziemlich rau in seiner Art. Wer nicht zu ihnen gehörte, ging ihnen lieber aus dem Weg, und das wollte etwas heißen – in Zeiten wie den unseren.
    »Sieh an«, empörte sich Knaller. »Da pisst dieser Kerl an die Mauer, und drüben geht die Prozession.«
    Zunge grinste und machte eine Geste in Richtung auf seinen Kumpan.
    »Ja, ja«, sagte Knaller. »Er will sagen …«
    »Ich verstehe sehr gut«, unterbrach ich ihn. »Er meint: Das musst gerade du sagen.«
    Zunge nickte vergnügt.
    Bär hatte sich bequem auf einen Eckstein gesetzt und legte mir den Arm um die Schulter.
    »Sag mal: Bist du eigentlich ein Sonntagskind?«, fragte er.
    »Wieso, warum sollte ich das sein?«
    »Weil dich fast alle Leute mögen, die dir begegnen. Ist dir das noch nicht aufgefallen? Es muss etwas an dir sein, das die Menschen gewaltig für dich einnimmt.«
    Ich zuckte die Schultern. »Meinst du wirklich? Ich kenne ein paar andere Beispiele.«
    »Ausnahmen gibt es immer. Aber schau mich an. Mich mag eigentlich keiner. Und Knaller! Wer sollte den wohl mögen? Mit Zunge ist es wieder etwas anderes …«
    »Ein Sonntagskind? Keine Ahnung. Aber ich glaube nicht.«
    »Du meinst, du weißt nicht, an welchem Wochentag du geboren bist?«
    »Nein. Das weiß ich nicht. Und ich weiß auch das Datum nicht. Offen gesagt, kenne ich nicht einmal das Jahr.«
    Er wiegte den Kopf. »Was du nicht sagst. So geht es manchem. Aber bei jemandem wie dir wundert es mich. Hat dir deine Mutter denn nichts darüber gesagt?«
    »Meine Mutter ist gestorben, als ich noch ziemlich klein war. Ich glaube, sie lebte, wie man so sagt, in ihrer eigenen Welt. Und meinen Vater kenne ich nicht. Das weißt du ja. Aufgezogen hat mich der Priester in unserem Dorf. Vater Sebastian. Er hat nicht viel über uns gewusst. Jedenfalls stamme ich nicht von da, und wir waren erst einige Zeit

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