Tanz der Dämonen
zusammen und ließ sich nicht dabei helfen. Wir gingen. Der Alte war schweigsam und bärbeißig. Ich bewegte mich immer noch wie im Traum und gab mir Mühe, zu vergessen, was ich soeben erlebt hatte. Ich war nicht imstande, es zu verstehen, und es hätte mich vielleicht in den Wahnsinn getrieben, wenn ich weiter darüber nachgedacht hätte.
Wir sprachen nicht miteinander, bis wir an unsere Herbergekamen. Dann sagte Ahasver nur einen Satz: »Kein Wort von dem, was heute Abend geschehen ist, zu irgendwem!« Ich nickte stumm und muss ziemlich eingeschüchtert gewirkt haben. Jedenfalls schien er die Sache damit für erledigt zu halten. Er blickte aus dem Torweg in alle Richtungen, ehe wir das Haus von Mutter Gluck betraten.
Drinnen empfing uns eine Stimmung von lebhafter Vergnügtheit, und ich bemühte mich, darauf einzugehen, obwohl der Schrecken über das unheimliche Erlebnis mir noch in den Knochen steckte. Ist es zu glauben? – Es wurde ein ausgelassener Abend. Es ist nämlich so: Zum Epiphanias-Fest, besser gesagt am Dreikönigsabend, dem Tag davor, wird in vielen Häusern zu Köln, wie es ähnlich auch in Flandern Sitte ist, ein so genannter »Freudenkönig« bestimmt. In Mutter Glucks Herberge geschah das so: In einen Kuchen, der an alle verteilt wird, backt man eine Bohne hinein, und derjenige, der in seinem Kuchenstück auf diese Bohne stößt, ist für den einen Abend Herrscher über den gesamten Hausstand. Man nennt ihn darum auch den »Bohnenkönig«. Seine Pflicht ist es, allen, die um ihn sind, Freude zu bereiten. Daraus wird ein fröhliches Fest mit viel Essen und noch mehr Trinken. Nun, das Los traf Polonius, den alten Seiltänzer. Ob das Zufall war? Irgendwie schien es mir, als habe Mutter Gluck ihre Hand im Spiel gehabt, aber ich weiß nicht, wie das zugegangen sein könnte. Der Erwählte genoss seine Rolle jedenfalls sehr und erwies sich als ein leutseliger und großmütiger Monarch. Wie es üblich ist, ernannte er einen Hofmarschall – das war Pietro –, einen Generalissimus – Sambo – und einen Kanzler – Ahasver. Jeder erhielt ein Amt. Ich wurde sein Hofnarr, Mutter Gluck seine »Freudenkönigin«.
Es ging hoch her! Ich erinnere mich an sorglose Späße, die mich alles andere vergessen ließen. Polonius war selig. Er begann zu erzählen, als habe jemand ein Schleusentor geöffnet, da war kein Halten mehr. »Seiltanzen sagt ihr und meint, es ist ein Kunststück wie andere auch. Oh, nein, das ist es nicht! Merkt euch: Es ist etwas anderes, es ist eine Kunst, ein Traum von Befreiung! Es ist unterallem, was wir kennen, am nächsten dazu, dass man fliegt, wie es die Vögel tun. Es hat Augenblicke gegeben, Augenblicke – da habe ich gedacht, das Seil wär das Einzige, was mich daran hinderte – davonzuschweben! Du stehst hoch über dem gemeinen Volk. Nichts erreicht dich. Du bist erfüllt von dem Gefühl, über alles nur lachen zu können, was sich in der Tiefe abspielt …«
»Trink lieber ein wenig!«, flüsterte Pietro mir zu. »Du siehst aus wie drei Tage Regenwetter!« Er war der richtige Ratgeber! Wie ich erfuhr, hatte er den Heimweg nur mit Mühe gefunden und wusste selber nicht, wie das zugegangen war. Jedenfalls war er bis zum Beginn dieses Festes gar nicht erst wieder nüchtern geworden, und so entschied er sich denn, mit dem Trinken gleich weiterzumachen. Und diesen Zustand wünschte er offenbar mit allen anderen zu teilen. Leider war ich so dumm, mich bereden zu lassen. Der Wein war sauer. Zuerst schmeckte er gar nicht. Dann ging es etwas besser. Indessen redete Polonius pausenlos weiter: »Lasst mich erzählen, wie es war, als ich einmal das hohe Seil in Straßburg gespannt hatte, über dem Markt und der Gasse. Tausend Gaffer waren zusammengeströmt, es war Messe. Sie verrenkten sich die Hälse, und ich blickte über sie hin – erhaben wie ein Adler! Da war es mir wie Trunkenheit, aber nicht als ein betäubender Rausch, sondern wie eine strahlende Erleuchtung, und ein großes Gelächter war in mir… Glaubt mir: Ich wollte gar nicht mehr hinab!«
»Will ich auch nicht«, kicherte Pietro. »W-wenn ich mein’n Rausch hab, dann s-soll es so bleib’n!«
Polonius erzählte weiter, wie er übermütig Späße mit der Menge getrieben habe, damals in Straßburg. Am Ende kündigte er dem Volk ein völlig neues, nie gekanntes Schauspiel an. Dazu müsse jeder den linken Schuh ausziehen und zu ihm heraufwerfen. Er fing sie alle auf und band sie an seine bunte Stange, mit der er das
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