Tanz der Dämonen
eine alte Gewohnheit«, sagte Bär. »Ich bin nicht immer blind gewesen und nicht immer ein Bettler. Nicht wahr, Knaller? Es hat andere Zeiten gegeben. Ich war einmal Schreiber beim Gericht.«
»Wann war das?«, fragte Knaller. »Bevor du an der Universität gelehrt hast?«
»Nicht doch«, grinste Bär. »Da war ich Sekretär beim Kardinal.«
»Ihr wollt mich zum Narren halten«, sagte ich.
Bär zog ein beleidigtes Gesicht, und Knaller konterte: »Das ist uns schon bei ganz anderen gelungen.«
Wir sahen die Herberge vor uns liegen. Alles, was wir besprochen hatten, wirbelte mir im Kopf herum. Ich wollte mich noch nicht von ihnen trennen.
»Ein Sonntagskind?«, sagte ich. »Nein, das glaube ich nicht …«
»Ein Sonntagskind zu sein hat auch Schattenseiten«, sagte Bär. »Man sagt, es sieht viele Dinge, die es lieber nicht sehen würde. Und es macht schwere Prüfungen durch. Und man sagt auch, es stirbt meistens früh …«
»Alles Unsinn!« schimpfte Knaller. Und dann fuhr er fort: »Da sind wir. Nicht gerade die feinste Gegend.«
Ich musste zugeben, dass die ganze Gasse ziemlich schäbig wirkte.
»Dann werden wir hier Halt machen«, sagte Bär. »Wer weiß, ob unser Geleit dort von jedem so recht gewürdigt wird.«
» Ich danke euch dafür«, sagte ich nur.
Zunge wiederholte die Geste des Augenoffenhaltens. Diesmal grinste er nicht. Dann gingen die drei davon – mit der ihnen manchmal eigenen Verschämtheit, die unbestreitbar etwas Rührendes hatte. Ich sah ihnen nach, bis sie hinter einer Hausecke verschwunden waren.
In der Herberge war Essenszeit. Ich beschleunigte meinen Schritt.
Ein scharfer Laut unterbrach meine Gedanken. Es war ein Zischen in der Luft und etwas wie eine leichte Berührung, ein Windhauch an meinem Ohr. Und zugleich traf ein Schlag gleich dem einer Peitschenschnur die Hauswand zu meiner Rechten. Vom bröckligen Mauerwerk spritzten Splitter umher.
Ich zuckte zusammen und blickte auf das Pflaster zu meinen Füßen. Da lag etwas. Ein kleiner, aber harter und schwerer Gegenstand.
Was konnte das sein? Ich bückte mich und griff danach. Doch meine Hand zögerte, als läge dort eine Schlange: Ein kurzer hölzerner Stab war es, gesplittert, mit einer Eisenspitze, vom Aufprall verbogen, Federn am Schaft … ein Pfeil, ein Bolzen, wie man ihn mit einer Armbrust benutzt! Das Geschoss hatte mich nur knapp verfehlt! Mein Ohr! Ich griff hin und hatte die Finger blutig! Aber kein Schmerz. Hastig tastete ich über die Seite meines Kopfes. War ich wirklich nicht schwerer verletzt? Dann schüttelte mich ein lautloses Lachen. Es war nichts. Es kam schon kaum noch Blut.
Schließlich hob ich dieses Ding auf. Wie bösartig es auch jetzt noch wirkte! Dann blickte ich zu dem unbewohnten Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Kein Laut. Nichts. Ob der Schütze noch dort war?
Seltsam: Ich hatte keine Angst! Was geschah, erschien mir sounwirklich, dass ich es nicht wirklich als Gefahr empfinden konnte. Nur einen leichten Schwindel stelle ich fest. Dann jedoch gab ich mir einen Ruck.
Ich muss hier weg!, durchfuhr es mich. Und mit einer raschen Wendung eilte ich der Herberge zu und gelangte unangefochten durch das Tor.
HASVERS A RGWOHN
»Hepp!« Das war Sambos kräftige Stimme. Und Pietro: »Barbaro, auf!«
Sie hatten den Bären ins Freie geführt und probten Kunststücke mit ihm. Offenbar sollte er auf den Hinterbeinen tanzen. Sambo hielt eine Kette, die am Nasenring befestigt war, und Pietro spielte auf der Flöte. Nichts schien zu gehen, wie es sollte. Barbaro brummte missvergnügt. Seine Tatzen zuckten, aber er wollte sich nicht erheben.
»So wird es nichts«, rief Polonius von den Stufen des Hauseingangs herab. Er hatte sich eine Decke als Mantel umgehängt und wirkte kräftiger als sonst.
»Es muss aber gehen«, antwortete Pietro, sein Spiel unterbrechend. »Er hat es doch früher gekonnt. Er mag einfach nicht!«
Polonius lächelte mich an. »Mancher hat früher manches gekonnt.«
»Vielleicht ist es nicht die richtige Musik?«, sagte ich.
Polonius schüttelte den Kopf. »Mit der Musik hat es wenig zu tun.«
»Wieso nicht?«
»Auch von mögen kann keine Rede sein. Weißt du nicht, wie man einem Bären das Tanzen beibringt? Er wird, wenn er noch klein ist, auf eine erhitzte Eisenplatte gezwungen, und dazu macht man Musik. Solche Musik.« Er zeigte auf Pietro und seine Flöte. »So macht man Tanzbären. Wenn sie die Musik wieder hören, fürchten sie aufs Neue den
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