Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tanz der Dämonen

Tanz der Dämonen

Titel: Tanz der Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Westfehling
Vom Netzwerk:
»Wer ist Rosanna?«
     
     
     

RUDER A NSELMUS
    Es war der siebte Tag im Januar und bitterkalt. Heute wollten meine Bettlerfreunde mich mit dem Priester in Kontakt bringen, an den Herr Arndt meinen Brief hatte leiten wollen … den Brief meines Vaters. Das war für mich der einzig denkbare nächste Schritt, und er war wichtiger als Ahasvers Verbot, wichtiger als alle blauen Flecke, die der Schwarze Hund und seine Halsabschneider mir beigebracht hatten, und sogar wichtiger als jene wachsende Bedrohung, die ich nur allzu deutlich spürte. Besser, nicht daran zu denken.
    Ich schlich sehr früh aus dem Haus, etwas Brot in der Tasche, kletterte im Dunkeln über die Mauer an der Rückseite des Grundstücks und lief in Richtung Waidmarkt. Ein Weg, der mir schon vertraut war. Allerdings wählte ich eine andere Gasse als zuvor und drückte mich dicht an den Häusern entlang. Ich tastete nach dem Pfeil, den ich bei mir trug, als verkörpere er ein gutes Omen: der Pfeil, der mich verfehlt hatte!
    Es war still. Die Stadt schlief noch. Alle Ereignisse des vergangenen Tages und die der Tage davor schienen fern und unwirklich. Waren es nicht nur wieder wirre Träume? Nein, der Pfeil bewies das Gegenteil. Das war die Wirklichkeit! Ich würde ihn aufheben, um das nicht zu vergessen.
    Ich ertappte mich dabei, dass ich über die Schulter zurückblickte. War es nicht möglich, dass der Schwarze Hund mir wieder auflauerte? Wie lange er die Herberge wohl schon beobachtete? Und Ohrring? Nun, der Kerl war dreister. Schließlich hatte er sich kaltblütig in unseren Schlupfwinkel gewagt. Aber was für ein Ziel verfolgte er? Und wer hatte diesen verteufelten Pfeil auf mich abgeschossen? Armbrust? War der nicht auch hinter mir her?
    Die Sonne ging auf. Bald würde die Stadt wieder von Menschen wimmeln. Das gab Sicherheit. Sowie meine Besorgnisse von mir abfielen, erwachte eine prickelnde Erregung. Ich spielte ein gewagtes Spiel, bot ausgefuchsten Gegnern die Stirn und konnte zeigen, wie gewitzt ich war.
    »Sei nur nicht leichtsinnig!«, sagte ich laut zu mir und musste über diese Worte lächeln. Es dürfte meine Jugend gewesen sein, die mir solche Torheit eingab. Als könne mir nichts etwas anhaben …
    Das Gedränge in den Gassen wurde dichter, je näher ich dem Trommelwirbel und den Fanfaren kam, die nun von Ferne zu hören waren. Aus dem, was die Leute redeten, entnahm ich, dass der Kaiser und der neu gewählte König heute Köln verließen, um nach Aachen zu reisen. So etwas lässt sich in dieser Stadt keiner entgehen! Immer mehr neugieriges Straßenvolk und immer mehr würdige Bürger im Festtagsstaat! Die meisten hatten ihren vornehmen Plunder vermutlich im ganzen Leben noch nicht so oft hervorgekramt wie in den letzten Tagen. An der Stiftsmauer von St. Andreas war kein Durchkommen mehr. Ich stand in einem engen Durchgang, und hier quetschten sich die Schaulustigen so dicht wie die Füllung in einer gebratenen Gans. So würde ich, klein wie ich war, wohl nichts zu sehen bekommen. Also musste ich mir etwas einfallen lassen. Wie hätte der listenreiche Pietro sich geholfen? Was der konnte, konnte ich auch!
    »Halt!«, schrie ich. »Ein Dieb, da drüben! Gerade hat er Euch den Beutel abgeschnitten!«
    Ein solcher Alarm wirkt immer! Wenn ich richtig beobachtet hatte, zuckten mindestens drei Burschen zusammen und suchten blitzschnell das Weite. Anfänger! Einer wurde festgehalten und kurzerhand verdroschen. Geschah ihm sicher recht, obwohl er mit kreischender Stimme seine Unschuld beteuerte. Ein Bürger im Pelzrock behauptete tatsächlich, ihm fehle die Börse. Jedenfalls geriet die Menge durch den Tumult in Bewegung. Ein Handwerksbursche, der auf einen Karren geklettert war, verlor den Halt und purzelte herunter. Wahrscheinlich bekam er gleich einige Hiebe ab,denn da waren Leute am Werk, die sich auf solche Handarbeit verstanden. Das war meine Gelegenheit! Ehe ein anderer nachrücken konnte, war ich flink über das Karrenrad hinaufgeklettert und hatte den frei gewordenen Platz eingenommen. Von hier aus überblickte ich nun die ganze Szene.
    Über den Giebeln der Bürgerhäuser erhob sich mächtig der Turmstumpf des Doms. Er schien mir heute besonders düster und unheimlich. Es fröstelte mich immer noch, trotz des Sonnenscheins. Auf der anderen Seite glänzte der Chorbau der Andreaskirche. Die Stiftsherren in Kapuzenmänteln und ihre Gäste lehnten über der Mauer, die ihren Garten zur Straße hin abschloss. Am Eckhaus gegenüber waren

Weitere Kostenlose Bücher