Tanz der Dämonen
guter Kerl …«
Dann führte ich ihn in sein Gewölbe, wo ich die Kette an einem Pfeiler befestigte. Kein Zweifel: Er hatte einen Leckerbissen verdient, und er würde ihn bekommen!
Seltsam war es, dass im Haus niemand den Lärm gehört zu haben schien. Langsam ging ich zur Treppe. Es war jetzt stockdunkel. Ich blieb an der Tür stehen, um die Spuren dieser Begegnung an meiner Kleidung zu beseitigen. Etwas gab mir trotz allem ein gutes Gefühl: Ich hatte bei dieser unschönen Begegnung mehr Neues erfahren als mein Gegner!
Mit schleppenden Beinen tappte ich die Stiege hinauf. Dabei fiel mir ein, dass ich an der Küche vorbeigegangen war und noch kein Abendessen gehabt hatte. Aber ich konnte mich nicht aufraffen, noch einmal umzukehren. Ich war einfach zu müde. Auch mochte ich Mutter Gluck nicht unter die Augen treten. Sie durchschaute zu leicht, was mit mir los war. Und: Was ich von diesem neuen Erlebnis zu halten hatte, wollte ich erst für mich selber durchdenken.
Die Bande des Schwarzen Hundes verlor allmählich die Geduld. Aber sie traute sich noch nicht ins Haus. Deshalb musste Ohrring zu einer anderen Gruppe gehören. Und noch etwas: Worum es auch bei alldem ging, dieser Halsabschneider im Samtrock war offenbar selbst nur eine Randfigur, ganz wie Ahasver gesagt hatte. Aber er war gefährlich. Und – er wusste, wer mein Vater war! Oder jedenfalls glaubte er das. Er hatte von einer Narbe gesprochen.
Mit diesen Überlegungen erreichte ich die Dachkammer. Pietroschien zu schlafen. Sambo war nirgends zu sehen. Gut so. Sollten mich alle in Ruhe lassen!
Ich fiel erschöpft auf meine Strohschütte und streckte die Glieder von mir. Ein dumpfer Schmerz pulste in meinem Kopf, und in meinen Ohren rauschte es wie ein Wasserfall. Ein verzweifeltes Schluchzen keimte in mir auf. So eifrig ich meine Angst hinter Frechheit versteckte: Wenn es so weiterging, hatten sie alle mich bald mit dem Rücken an der Wand.
Verdammt: oder auch nicht!
Als ich so lag und ins dunkle Dachgestühl starrte, spürte ich neben mir eine Bewegung. Es war Pietro. Er hockte auf den Fersen und stupste mich an.
»He«, sagte er. »Was ist los mit dir?«
»Was … was meinst du?«
»Was mit dir los ist. Glaubst du, ich merke es nicht?«
»Ich bin müde.«
»Das ist es nicht allein.«
»Lass mich.«
»Du treibst dich herum. Du bringst dich in Gefahr. Du blutest. Du hast Angst.«
Da überwältigte mich mein Elend, ich heulte hemmungslos und erzählte ihm, was geschehen war.
»Deshalb also hat Barbaro solchen Lärm gemacht. Ich dachte, ich hätte es geträumt.« Wenigstens einer hatte etwas gehört, wenn er es auch nicht für nötig befunden hatte, sich darum zu kümmern! Er holte eine warme Decke, wickelte mich ein und legte den Arm um mich. Es tat mir gut. Nach einer Weile hörte ich, wie er wütend die Luft ausstieß. »Jemand wird dich umbringen, wenn du so weitermachst.«
Ich dachte: Sie haben es wohl schon versucht. Der Pfeil! Aber ich sagte nichts. »Warum setzt du dich nur all dem aus? Dein Vorwitz kann ins Auge gehen. Warum hältst du nicht einfach still?«
»Ich suche meinen Vater. Das weißt du.«
»Und du glaubst, du kannst ihn finden, wenn er es nicht will?«
»Verdammt, das will ich sehen!«
»Da hast du es wieder. Du bist in Gefahr. Wir alle zusammen, aber du Gernegroß forderst dein Schicksal heraus.« Es gefiel mir, dass er sich um mich sorgte. Pietro erhob sich und begann auf und ab zu gehen. Drei Schritte nach rechts, drei Schritte nach links. Wie ein Hund an der Kette. In diesem Augenblick war ich nahe daran, ihm rückhaltlos mein Herz auszuschütten. Aber dann dachte ich daran, wie wenig Rückgrat Pietro zeigte, wenn er von Ahasver unter Druck gesetzt wurde, und ich entschied mich zu schweigen.
»Ich hab Hunger«, sagte ich.
Er blieb stehen. »Etwas Brot habe ich«, sagte er. »Und Käse.«
»Und Wasser?«
»Die Kanne steht bei Sambos Bett.«
»Wo ist Sambo. Bei ihr ?«
»Da kannst du wetten.«
Ich musste lachen. »Warum auch nicht?«
Er beugte sich herunter und fuhr mir mit der Hand über den Kopf. Auch das tat gut.
Ich aß und trank alles, was er mir gegeben hatte. Es hätte mehr sein dürfen.
Er hockte sich wieder zu mir.
»Danke«, sagte ich und rollte mich zusammen, wie es junge Hunde tun. Plötzlich war ich sehr müde. Dennoch hielt mich seine Unruhe wach.
Ich hob den Kopf und sagte: »Ich habe heut Ausschau gehalten, nach Rosanna; ich habe sie nicht gesehen.«
Es blieb lange still. Dann sagte er:
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