Tanz der Dämonen
was du willst oder was du zu müssen glaubst. Es hilft nichts, wenn ich dich bitte, es hilft nichts, wenn ich dir befehle. Auch Einsperren würde kaum helfen, nicht wahr ?«
Vor dem Funkeln seiner Augen wich ich zurück. Er sprach jetzt ganz leise:
»Verstehst du mich? Du bringst uns alle in Gefahr, und das nehme ich nicht länger hin. Du hast jetzt die Wahl: Füge dich – oder verschwinde!«
»Ich … werde gehen.« Da war es heraus.
»Du rennst in dein Verderben«, murmelte er.
Das Amulett hat er auch diesmal nicht zurückverlangt. Ob er es vergessen hat?
In dieser Nacht habe ich geschlafen wie tot. Ohne Träume. Was hätten die auch noch bringen können? Waren meine schlimmsten Träume nicht schon Wirklichkeit geworden?
Dritter Teil
SCHRECKEN
IN EHRBARER B ÜRGER
Gegen Ende der Nacht schreckte ich auf. Ich hatte mit Ahasver gebrochen! Wie sollte es weitergehen? Pietro, dessen Zuspruch ich jetzt gebraucht hätte, schnarchte wie ein Sägewerk. Er roch schon wieder nach Wein. Sambo war nicht da. Wahrscheinlich bei Mutter Gluck. Von nun an würde ich also allein meinen Weg gehen. Nein, nicht ganz allein. Ich hatte schließlich noch andere Freunde.
Der Morgen kam mit klirrendem Frost. An keinem Tag zuvor war die Versuchung, einfach liegen zu bleiben und den Dingen ihren Lauf zu lassen, so groß gewesen. Meine Knochen und Gelenke schmerzten vom Sturz und von der Verfolgungsjagd.
Dennoch trieb es mich weiter. War das noch der Wunsch einer Tochter, ihren Vater zu finden, oder stand längst mein Trotz im Mittelpunkt? Trotz gegen seine Weigerung, sich finden zu lassen. Jede neue Schwierigkeit, die sich in den Weg stellte, bedeutete auch eine Herausforderung: nachzuspüren, aufzudecken, weiter zu gehen … Was wartete als Nächstes auf mich? Wie oft würde ich noch so glimpflich davonkommen? Ich dachte an Ahasver. Irgendwie imponierte er mir. Er war entschlossen, allem die Stirn zu bieten. Sollte er mich schwach sehen? Konnte ich denn überhaupt aufgeben?
Niemals!
Ich stand auf und ließ den immer noch schlafenden Pietro hinter mir. Das war jetzt vielleicht ein Abschied für immer! Einen Augenblick lang spielte ich mit dem Gedanken, ihn auf die Stirn zu küssen, aber dann unterließ ich es doch.
Die werden schon sehen, wie sehr ich ihnen fehle!
Ich ging und fütterte den Bären. Zum letzten Mal.
Barbaro brummte gutmütig und rieb den Kopf an meiner Schulter.
Dich werde ich vermissen, alter Bursche! Aber hätte das wirklich meine Zukunft sein können: mit einem Bären über die Landstraßen zu ziehen und ihn Kunststücke vorführen zu lassen?
Ich zwang mich, an meinen Plan zu denken: Pater Nabor treffen und mit ihm reden. Vielleicht würde das meine Fragen klären.
Ich beeilte mich, wegzukommen, ehe meine Freunde wach wurden. Ich wollte jetzt keinen von ihnen sehen. Am wenigsten Ahasver!
Aber ich musste vorsichtig sein. Es gab inzwischen zu viele Leute, die mich nicht erkennen durften. So nahm ich einen Umhang und eine Mütze von den Kleidungsstücken, die bei Mutter Gluck im Windfang herumlagen. Sie würde mir verzeihen! Außerdem schmierte ich mir etwas Ruß vom Kamin auf die Wangen. So erkennt einen die eigene Mutter nicht! – Ich erschrak über diesen Gedanken. Er war nicht von ungefähr gekommen. Mutter!
»Reib dir Schmutz ins Gesicht«, hatte sie manchmal gesagt, als ich klein war. »Und bedeck dein Haar. Es gibt Männer, die betrachten selbst Kinder mit Lüsternheit. Das will ich dir ersparen. Früh genug packt dich selber die Narrheit! Glaub mir: Für ein Mädchen ist die Liebe ein Unglück!«
Ich hatte den Türgriff gerade in der Hand, als Mutter Gluck plötzlich vor mir stand. Missbilligend schaute sie mich an.
»Wie du aussiehst!«, schimpfte sie. »Du gehörst wirklich zu dieser Sorte.«
»Welche Sorte?«, fuhr es mir heraus.
»Zu der Sorte, bei der Worte nichts nützen. Schläge wahrscheinlich auch nicht …«
Darauf wusste ich nichts zu erwidern. Hastig drehte ich mich um und stürzte davon.
Ich mied das Gerberviertel. Dort durfte ich mich fürs Erste nicht blicken lassen – nicht nach dem, was gestern geschehen war. Ich stahl mich durch Nebengassen und schlüpfte durch jeneverborgenen Durchgänge, die ich inzwischen als Schleichwege kannte. Ich umging den Stadtkern, bis ich an die Stadtmauer gelangte. Dann folgte ich dem Weg, der sich auf ihrer Innenseite an den Wehrgängen entlangzog. Links die Mauer, rechts winterlich leere Äcker und Gärten, über denen Krähen flatterten. So
Weitere Kostenlose Bücher