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Tanz der Dämonen

Tanz der Dämonen

Titel: Tanz der Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Westfehling
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Zwei in Leder gekleidete Männer traten unter dem Dach hervor, beide mit Hellebarden bewaffnet. Breit gebaute Kerle mit groben Gesichtern. Büttelgesichter. Behandschuhte Hände, denen ich zutraute, dass sie gnadenlos zupacken konnten. Pater Nabor sprach ein paar Sätze zu ihnen. Dabei schob er fröstelnd seine Hände in die weiten Ärmel seiner Kutte. Dann blickte er noch einmal über den Hof, bevor er sich abwandte und das Kloster ihn verschluckte. Die beiden Bewaffneten stampften unter mir vorbei. Unter ihrem Tritt knirschte der gefrorene Boden. Dann war es still.
    Ich habe noch eine Weile wie betäubt dort oben gelegen. So war das also! Wenn ich mich gezeigt hätte, wäre ich jetzt in den Händen dieser Schergen. Und dann? Nur nicht darüber nachdenken! Überleg lieber, was du als Nächstes tust. Mein Kopf war leer.
    Was konnte ich tun? Ohne meine Freunde. Ohne meinen Vater. Ohne eine Menschenseele! Am liebsten wäre ich dort liegen geblieben für alle Zeit.
    Aber ich fühlte bitteren Hunger. Also schlüpfte ich aus dem Versteck und ging in die innere Stadt, aufmerksam meine Umgebung beobachtend und ständig bereit zu flüchten, falls sich ein Feind zeigen sollte.
    In einer Garküche füllte ich mir hastig den Magen. Dann tappte ich ziellos weiter. Ein paar Kinder schlitterten auf den vereisten Pfützen. Ihr ausgelassenes Geschrei erfüllte die Gasse. War ich nicht gestern auch noch so unbeschwert gewesen? Nein. So unbeschwert war ich nie, erst recht nicht, seit ich Vater Sebastian verlassen musste. Eigentlich, seit meine Mutter nicht mehr lebte.
    Ich bin an diesem Tag lange ziellos umhergegangen. Mich bedrückte die Vorstellung, dass ich vielleicht meine Freunde niemals wiedersehen würde. Wie sollte ich ohne sie zurechtkommen? Pietro stand mir vor Augen, und natürlich auch Sambo, ja sogar Ahasver. Und dann die Bettler – Bär, Zunge und Knaller. Ich streifte in den Gassen und auf den Plätzen umher, wo sie sonst anzutreffen waren. Nichts. War ihnen dasselbe widerfahren wie Bruder Anselmus? Saßen sie hinter Gittern? Ich hätte mich erkundigen können, aber durfte ich das wagen? Auch mich wollte man fangen. Allerdings kümmerte sich den ganzen Tag über niemand um mich. Keine Wache hielt mich an, keine Frage wurde mir gestellt. Ob es eine Beschreibung von mir gab? Dann würde man mich wohl kaum erkennen, da ich meine Kleidung verändert hatte.
    Nirgends ein vertrautes Gesicht. Eine Zeit lang saß ich auf der Mauer am Rhein, wo ich am Dreikönigentag mit den Bettlern zusammen gewesen war. Dann wurde es zu kalt.
    Einmal war ich drauf und dran, in die Herberge zurückzukehren. Bei Ahasver würde ich mich entschuldigen. Und alles andere gab ich eben einfach auf … Aber ich wusste im gleichen Augenblick, dass ich das nicht tun konnte. Seufzend blieb ich stehen. Ich war auf dem Neumarkt. Nach allen Richtungen liefen Straßen, aber wohin sollte ich gehen?
    Ich mochte grübeln, soviel ich wollte, ich verfiel nur auf eine aberwitzige Idee.
    Bär hatte sie erwähnt, und da mir nichts anderes geblieben war, kehrten meine Gedanken immer wieder zu ihr zurück. Ich musste den Mann mit der Kapuze befragen, der mir im Haus von Herrn Arndt begegnet war. Erst hielt ich das für ein Ding derUnmöglichkeit, aber dann, als ich es von allen Seiten betrachtete, erschien es mir doch als ein gangbarer Weg. Bär hatte vermutet, er sei ein Aussätziger, einer der »Unberührbaren«, die in einem Leprosen-Spital der Stadt ihr Dasein fristeten. Arndts Bruder, so hatte er gehört, sollte an Lepra leiden. Das passte zu seiner Anwesenheit im Haus mit dem Löwen. Und Herr Lennart, der Klient, der von Ahasver einen Blick in seine Zukunft gewollt hatte, war mit der Aufsicht über das Spital betraut. Er würde mir vielleicht einen Besuch in diesem Hospiz ermöglichen.
    »Aber es ist ein schrecklicher Ort«, hatte Bär hinzugefügt.
    Durfte mich das abhalten, wenn es doch die einzige Spur war, die mir blieb? Ich fühlte mich leer und verzweifelt wie niemals zuvor, aber ich hatte mich so sehr in mein Ziel verrannt, dass ich einfach nicht imstande war, davon abzulassen.
    Überdies ging mir ein weiterer quälender Gedanke immer wieder durch den Kopf: Konnte nicht auch dies eine Lösung für die Frage sein, die mir so zu schaffen machte: Warum verbirgt sich mein Vater vor mir, nachdem er selbst mich gerufen hat? Wenn er nun dieser Kranke war? Vielleicht wollte er mir die Begegnung mit seinem bitteren Leid ersparen?
    Du bist wirklich von Sinnen!,

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