Tanz der Dämonen
gleißendes Licht überflutete die Ebene. Da lag die Stadt. Mächtig und triumphierend. Über den Zinnen der Mauer ragten die Dächer und Türme empor. Das Sonnenlicht schimmerte auf unzähligen Steinfronten, Firsten und Dachflächen, funkelte auf Gesimsen und ließ Kanten und Winkel scharf hervortreten. An einigen Stellen traf es blinkend auf eine Fensterscheibe oder eine Metallverzierung, von denen es zurückgeworfen wurde, so dass der Widerschein fast schmerzhaft blendete. Die Stadt sah in dieser Beleuchtung aus, als wäre sie aus Kristall.
Der goldene Apfel von Köln, kam es mir in den Sinn. Dort wird sie geschlagen werden, die letzte aller Schlachten zwischen Gut und Böse! Diese alte Prophezeiung des Merlin. Irgendwo hatte ich das kürzlich noch einmal gehört … Ach ja: das Mondgesicht, dieser unheimliche Prediger im Herbergsschuppen, drüben in Deutz! Aber schon Vater Sebastian hatte mir davon erzählt. Wie lange war das her!
Vater Sebastian. Ob er überhaupt noch lebte? Plötzlich schossen mir Tränen in die Augen, und über das Bild vor mir legte sich ein Schleier, der mit den Farben des Regenbogens durchwirkt war.
»Das heilige Köln«, murmelte Herr Lennart.
Nie würde ich es so nennen!
Als wir das Stadttor erreichten, war die Sonne untergegangen, und gleichsam mit einem Schlag wurde es dunkel.
»Mein Haus ist nicht weit von hier«, sagte er. »Du kannst noch einmal bei mir schlafen, wenn du willst …« Ich war mir fast sicher, dass es ihm lieber gewesen wäre, wenn ich abgelehnt hätte, aber ich hatte Angst vor der Nacht, und deshalb sagte ich: »Habt Dank dafür. Ihr seid sehr freundlich zu mir.« Welche Rücksicht auf eine Straßenkröte!, dachte ich.
Er nickte und schwieg.
Die Magd empfing mich mit wütendem Blick. Ich nahm es kaum wahr. Meine Erschöpfung war so groß, dass ich nichteinmal Hunger verspürte, was jeden wundern wird, der mich damals gekannt hat. Ich streckte mich auf dem Lager neben der Küche aus und fiel sofort in einen unruhigen Schlaf. Er hat lange gedauert. Bis weit in den nächsten Tag.
Ich erwachte durch das Geräusch von Stimmen. Herr Lennart redete mit einem anderen Mann, draußen in der Halle. Die Stimme dieses anderen war unverkennbar: das schnarrende Organ des Aufsehers im Leprosenspital. Was tat der hier, so kurze Zeit nach unserem Besuch dort draußen?
»Ich hielt es für richtig, Euch gleich zu unterrichten«, krächzte der Mann. »Es hat viel Unruhe ausgelöst!«
Offenbar forderte Herr Lennart ihn auf, leiser zu sprechen, denn er senkte einige Sätze lang seine Stimme; dann jedoch vergaß er diese Einschränkung wieder, und ich hörte: »Da haben wir ihn gefunden, mit einem Loch im Schädel. Kein schöner Anblick, sage ich Euch! Und das, kurz nachdem Euer junger Freund mit ihm gestritten hatte. Dazwischen hat ihn kein anderer mehr gesprochen …«
Herr Lennart schien seiner Betroffenheit Ausdruck zu geben. Ich erriet, dass es um den jüngeren Herrn Arndt ging, den Gesichtslosen.
Wir haben doch gar nicht gestritten, dachte ich. Doch was ich dann hörte, war geeignet, diesen Einwand glatt beiseite zu wischen:
»Aber vielleicht war es ein Unfall«, wandte Herr Lennart ein. »Ein Sturz …«
»Es geschah mit einer Hacke aus dem Garten«, schnarrte die Stimme des Aufsehers. »Sie steckte noch in seiner Hirnschale!«
Mich fröstelte bei dieser Schilderung.
»Euer Schützling hat mir gleich nicht gefallen«, stellte der Aufseher fest. »Was hat er bei uns zu suchen gehabt? Warum hat er einen kranken Mann so gepeinigt?«
Ein schneller, leiser Wortwechsel folgte. Dann hörte ich Herrn Lennart, der seinerseits die Stimme erhob: »Jetzt geht Ihr zu weit! Das ist Unsinn! Er ist doch fast noch ein Kind! Niemals hätte er die Kräfte gehabt!«
»Na und? Der Teufel hilft den seinigen!«
Wieder ein paar gedämpfte Sätze. Dann Herr Lennart: »Nein! Es ist genug! Darüber habe ich mit Euch nicht zu rechten, versteht Ihr?«
»Ich habe mir gedacht, dass Ihr nichts davon hören wollt. Darum habe ich auch Pater Nabor Bericht gegeben.«
»Wozu das? Was geht es ihn an?«
»Er zahlt mich gut. Ich dächte übrigens, Ihr wärt ihm ebenso verpflichtet wie ich. Bisher habt Ihr jedenfalls immer getan, was er wollte …«
»Was fällt Euch ein!«
Mein Gastgeber war nun wirklich zornig. Und ich musste wieder einmal begreifen, dass ich von allem nur ein Stück der Oberfläche sah. Darunter verbargen sich Zusammenhänge, die ich nur hier und da ahnen konnte. Ich tappte umher
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