Tanz der Dämonen
wie in einem dichten Gestrüpp, und jeder andere schien mehr zu wissen als ich.
Herr Lennart rief: »Ihr spielt seine Karte! Was habt Ihr davon?«
»Und was ist mit Euch? Es wäre Zeit, dass Ihr Eure Pflicht tut. Ihr haltet die Hand über diesen Bengel. Was habt Ihr davon?«
»Ihr vergesst, wer ich bin!«, kam die heftige Antwort. Doch war ein Ton von Unsicherheit in Herrn Lennarts Stimme nicht zu verkennen.
Ich hatte genug gehört! Alle Müdigkeit war wie weggeblasen. Rasch stand ich auf, riss Jacke und Hut an mich und stahl mich durch die Küchentür ins Freie. Dann über den Abfallhaufen auf die Mauer und von dort in die Gasse. Diesen Fluchtweg hatte ich mir vorsorglich zurechtgelegt, am Tag zuvor bereits. Für alle Fälle.
EGE IM D UNKEL
Wieder Abend. Feuchtkalt und düster. Ich war erschöpft, und mein Kopf brannte erneut wie im Fieber. Es war vorbei mit meinem Mut. Wohin konnte ich mich jetzt noch wenden? Mir blieb nur die Herberge von Mutter Gluck. Ahasver würde zürnen. Ob er mir verzeihen und mich wieder aufnehmen würde? So sehr ich mich dagegen wehrte – ich musste es versuchen! Noch ehe ich mich ganz entschieden hatte, waren meine Füße schon auf dem Weg.
Ich nahm Umwege, wie ich es mir angewöhnt hatte. Dennoch stand ich bald vor dem vertrauten Portal und drückte gegen den Türgriff. Er gab nicht nach.
Seltsam, dachte ich. Seit wann ist diese Tür versperrt? Befremdet klopfte ich an. Zuerst gar nichts. Dann Schritte. Ein Riegel ächzte, und langsam öffnete sich die Tür. Vor mir stand Mutter Gluck. Ihre Augen richteten sich auf mich mit einer seltsam kühlen Strenge.
»Was willst du?«, fragte sie. »Wer bist du überhaupt?«
Ich war so verblüfft über diesen Empfang, dass ich kaum zu atmen vermochte.
Ich schluckte und stammelte: »So lasst mich doch erst einmal hinein.«
Zögernd kam sie meinem Drängen nach. In der großen Stube waren einige Gäste, die interessiert beobachteten, was an der Tür vor sich ging. Und wie immer war es warm und roch nach Essen. Aber seltsam, dass ich kein bekanntes Gesicht entdeckte! Keines außer dem von Polonius, der missvergnügt an seinem Platz hockte und mit den zahnlosen Kiefern vor sich hin kaute. Er starrte mich an und zog die Brauen hoch.
»Was für ein garstiger Bengel«, rief er unwillig. »Warum wirfst du ihn nicht einfach hinaus?«
Ich stand fassungslos da wie ein begossener Hund. Ich hatte erwartet, die Geborgenheit im Kreis meiner Freunde wiederzufinden; diese Hoffnung hatte mir Kraft gegeben und mich aufrecht gehalten. Stattdessen wurde ich behandelt wie ein Fremder. Nein, schlimmer: wie ein Störenfried!
»Ich … ich …«
Mit bohrendem Blick schaute Mutter Gluck mir in die Augen und schnitt mein Gestammel mit einer unwirschen Handbewegung ab. Dabei stellte sie sich zwischen mich und die Gäste, die den Wortwechsel mit Spannung verfolgten, und für einen Moment hob sie die Brauen, dann verengten sich ihre Lider zu schmalen Schlitzen.
»Hat man schon je einen solchen Vogel gesehen?«, spottete sie. »Heraus damit! Verstehst du nicht? Was suchst du hier?«
Jetzt begriff ich, und sie atmete auf, als wolle sie sagen: Endlich!
Ich rang noch immer nach Luft. Dann aber brachte ich heraus: »Lumpen …! Ihr habt es wohl vergessen? Dass ich Eure Lumpen abholen soll …!«
Ihre Erleichterung war deutlich zu spüren. Ich nickte bekräftigend. Dabei ließ ich meine Augen möglichst unauffällig durch den Raum wandern. Polonius’ Gesicht zeigte ein zufriedenes Grinsen, und er nickte mir kaum merklich zu.
»Lumpen«, murmelte er vergnügt. »Ja, ja, Lumpen.«
Alle anderen gaben sich jetzt Mühe, unbeteiligt zu wirken, als schämten sie sich ihrer Neugier. Nur ein Mann im hintersten Winkel starrte mich aus Argusaugen an, doch als ihm klar wurde, dass ich ihn sah, schaute er eilig weg – mit jener Hast, die den ungeschickten Beobachter verrät. Er mochte noch so harmlos tun – ich hatte ihn erkannt. Es war der Kleine, der zum Schwarzen Hund gehörte, der Giftzwerg, der neulich so großen Eifer gezeigt hatte, meinen Kopf in den Kot zu stecken.
Was tat er hier? Er spionierte!
Ich gab vor, mich gerade für diesen Mann überhaupt nicht zu interessieren. Mutter Glucks Stimme drang an mein Ohr: »Warum hast du das nicht gleich gesagt? Wo habe ich nur meine Gedanken! Komm mit, sie sind in der Kammer.« Sie gab mir keine Zeit, weitere Fehler zu machen, sondern zog mich in einen Verschlag bei der Küche.
»Ein Glück, dass du doch noch
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