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Tanz der Dämonen

Tanz der Dämonen

Titel: Tanz der Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Westfehling
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das Holz der Bildtafel hinein. Mit einem Messer vielleicht oder mit einem Nagel. So heftig hatte sich einer empört über diesen Anblick! Auch das würde nichts helfen.
    Die Gedanken wirbelten in meinem Kopf. Wovon zog ich den Schleier zurück? Ich fand nicht die Worte zum Beten. Also schwieg ich und wartete. Die Kerzen rauchten und verströmten den Geruch von heißem Wachs. Ihre Flammen zuckten und tanzten. Ein schwaches, ruheloses Licht. Wie lange?
    Kälte kroch mich an. Die Beine schmerzten. Ich fühlte mich unsäglich müde und versank in dumpfe Benommenheit, ein trübes Dahindämmern.
    Dann schreckte ich auf. Mehrere Stimmen waren draußen zu hören.
    »Er ist noch da drin«, sagte eine.
    »Das bedeutet nichts Gutes«, eine andere. »Jagt ihn doch fort!«
    Und eine dritte: »Unser Bruder im Leid – hört ihr ihn wimmern?«
    Da befiel mich ein Frösteln, das nicht von der Kälte kam. Kehrte das Fieber der Nacht zurück? Ich erhob mich, streckte die schmerzenden Knie und trat unsicher ins Tageslicht hinaus. Eine Gruppe von Menschen war um den Eingang eines nahen Hauses versammelt. Einige Kranke und einige, die nicht krank aussahen. Aber alle in fadenscheiniger Kleidung, die meisten sogar in Lumpen. Sie redeten so aufgeregt durcheinander, dass ich kaum ein Wort verstand. Alle starrten mich an, aber keiner rührte sich vom Fleck. So ging ich zwischen ihnen hindurch und näherte mich langsam einer Tür, auf die sie mit hektischen Gesten immer wieder deuteten. Ich fühlte eine seltsame Scheu, aber es war, als ob ein Zwang mich dorthin trieb. Es war ein brüchiger Schuppen. Die von Wind und Wetter gebleichte Brettertür stand weit offen. Innen war es finster, und es roch nach Moder. Hatte sich Herrn Arndts Bruder hier verkrochen? Ich zögerte an der Schwelle, aber dann beugte ich mich vor und hörte ein leises Schluchzen im Dunkel. Da strömte eine Welle von brennender Scham über mich, und ich wandte mich ab. Die Kranken folgten mir tuschelnd. Ein Alter mit einem Tuch vor dem Mund zeigte mit dem Finger auf mich. »Wer ist das eigentlich?«, fragte er schrill.
    Alle verstummten.
    »Er hat unseren Bruder gepeinigt«, sagte eine Frau. »He! Was hast du mit ihm zu tun? Was willst du von ihm?«
    »Ja, ja! Er war eben noch bei ihm. Gestritten haben sie.«
    »Den Jungen dürft ihr nicht weglassen. Haltet ihn fest! Wer weiß, was der vorhat.«
    Einen Augenblick lang kam es mir in den Sinn, mich schnellstens davonzumachen. Wer von denen war imstande, mich aufzuhalten? Aber dann blieb ich stehen. Ich weiß nicht, warum. Es war widersinnig. Vielleicht hatte ich einfach keine Lust mehr, immer wieder vor etwas davonzulaufen.
    Die Menge wuchs immer mehr an. Man beobachtete mich mit Abscheu. Viele Augen starrten auf mich; wenn aber ich jemanden ansah, wich sein Blick hastig aus.
    War alles meine Schuld? Brachte ich einen Fluch über die Menschen?
    »Er hat den bösen Blick!«, flüsterte eine Stimme.
    Da trat jemand zu mir, der den Bann löste. Es war Herr Lennart.
    »Was ist hier los?«, fragte er, und seine Stirn legte sich in Falten.
    Ich gab keine Antwort.
    »Mir scheint, es gibt Unheil, wo immer du auftauchst. Bedeck dir den Atem! Hab ich nicht gesagt, dieses Übel steckt an?!«
    Er selbst hielt sich geflissentlich sein Tuch vor Mund und Nase.
    »Du wirst jetzt mit mir kommen«, sagte er, und leise, so dass die anderen es nicht hören konnten, fügte er hinzu: »Um Himmels Willen nicht noch mehr Aufsehen!«
    »Ich habe nichts getan. Ich habe nur mit ihm geredet …«
    In dem Blick, mit dem er mich ansah, war etwas wie ein unterdrücktes Grauen, ein Ausdruck, der mich frösteln ließ.
    »Lasst uns vorbei«, sagte er zu der Menge. »Wisst ihr nicht, wer ich bin?«
    »Der da ist ein Unglücksvogel«, sagte einer der Kranken, und seine Augen funkelten mich an. »Ein Diener des Bösen, ein Satansbote …«
    Er spuckte vor mir auf den Boden.
    »Dass ich nicht lache! Zurück, hört ihr mich!«
    Murrend wichen die schrecklichen Gestalten zur Seite, ließen uns aber nicht aus dem Blick. Einige schimpften und schüttelten die Fäuste, während Herr Lennart mich am Arm packte und mit sich zog.
    »So komm doch!«, raunte er. »Beeile dich!«
     
    Die Krähen lärmten in der Luft. Ihre Schreie hallten wie die Stimmen verlorener Seelen. Der höllische Ort lag hinter uns und baldauch die düstere Szenerie der Richtstätte. Wir sprachen nicht. Es wurde Abend. Aber ehe die Sonne unterging, rissen unerwartet die Wolken noch einmal auf, und ihr

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