Tanz der Engel
nur deinetwegen wieder zur Schule gehe?«
Ich zögerte mit einer Antwort, da ich ihm nichts vorwerfen wollte, das ich lediglich von Raffael gehört hatte.
»Schenke ich dir zu wenig Aufmerksamkeit?«, beendete Christopher meine Denkphase.
»Nein, das nicht.« Wie schon im Schloss der Engel war Christopher stets an meiner Seite, sobald es mein Stundenplan erlaubte. Er lernte sogar mit mir, da er nicht wollte, dass ich seinetwegen meine Kurse vernachlässigte. Selbst in mein Kunstprojekthatte er sich eingeschrieben, wobei ihm der Engel, den ich nach seinem Vorbild modellierte, ein ziemlich ungläubiges Grinsen entlockte. Und natürlich wartete er auch hier jeden Morgen vor meiner Zimmertür und brachte mich abends wieder zurück.
Auf Christophers makellosem Gesicht erschien eine Stirnfalte. »Soll ich …« – er stockte – »Bin ich zu … zu … ungestüm?«
Christophers antiquierte Wortwahl entlockte mir – angesichts seiner Unsicherheit – ein ziemlich unpassendes Grinsen. »Ich kann mir nicht vorstellen, jemals zärtlicher behandelt zu werden«, antwortete ich betont sachlich – zerfloss ich doch geradezu, wenn er mich küsste. Auch Racheengel konnten lieben, selbst wenn Christopher das anders gelernt hatte.
»Dann …« Christopher brach ab, konzentrierte sich und schaute mir in die Augen. Ein Blick, den auch Aron, mein ehemaliger Engeltutor, aufsetzte, wenn er wissen wollte, ob ich versuchte, die Wahrheit zu beugen. »Ist dir meine ständige Anwesenheit zu viel?«
Ich schlang meine Arme um seinen Hals. Christopher hielt mich auf Abstand. Scheinbar musste er es hören, um es zu glauben. Meine Antwort sollte nachdrücklich sein, damit er sie nicht vergaß. Also löste ich mich von ihm und erwiderte seinen Blick, der jetzt ein wenig alarmiert wirkte.
»Christopher Basthausen!« Mit diesem Namen hatte er sich in der Schulversammlung vorgestellt. »Jede Minute, die ich ohne dich verbringen muss, ist qualvoller als ein ganzer Tag bei der Totenwächterin. Und ich schwöre dir: Solltest du jemals länger weg sein, als ich ertragen kann, werde ich Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um dich zu finden!«
»Dein Schutzengel würde das verhindern.« Trotz dieser Warnung zauberte er ein verführerisches Lächeln auf sein Gesicht, das mich zu ihm locken sollte.
Ich blieb standhaft und wies ihn auf die Schwächen seinesPlanes hin. »Du schienst dir ja ziemlich sicher zu sein, dass ich ihn nicht noch einmal austrickse.«
Christophers selbstgefälliges Grinsen verschwand. »Keinem Schutzengel würde dieser Fehler ein zweites Mal unterlaufen. Außerdem habe ich nicht vor zu verschwinden, ehe du meiner überdrüssig wirst.«
»Ich Eurer Gnaden überdrüssig?! Wie könnte ich mich zu etwas so Unglaublichem erdreisten?«
»Lynn, ich meine es ernst.«
»Ich auch! Aber im Gegensatz zu dir kann ich mich nicht einfach in Luft auflösen. Du weißt immer, wo ich bin.«
Erst jetzt schien Christopher zu begreifen, wovor ich mich fürchtete. Behutsam zog er mich in seine Arme und erinnerte mich an seinen Schwur in der Einsiedelei. Er hatte seine Welt verlassen, um bei mir zu bleiben. Gab es einen eindeutigeren Beweis für seine Liebe?
Während er mit seinen Fingern über meine zusammengepressten Lippen strich, vertagte ich meinen Einwand auf später – als er mich mit einer unwiderstehlichen Mischung aus Zärtlichkeit und Bestimmtheit küsste, vergaß ich ihn ganz.
Ich vertraute ihm: Ignorierte die Blicke meiner Konkurrentinnen, die mich förmlich auffraßen, und hoffte, dass sie irgendwann aufgaben. Christopher unterstützte meinen vorgeschobenen Optimismus, indem er sich intensiv um mich kümmerte.
Schließlich legte ich meine Zweifel ab und verdrängte die Worte des Flüsterers. Mein Vertrauen reichte, um Marisa und Juliane beim Shopping-Ausflug am Samstagnachmittag zu begleiten. Christopher bei seinem Schwimmtraining zuzuschauen war zwar reizvoll, Einkaufen mit meinen Freundinnen aber auch – zumal ich nur selten Gelegenheit dazu hatte, Christopher dagegen täglich trainierte.
Bepackt mit Tüten voll Klamotten und Süßigkeiten, stieg ich am späten Nachmittag aus dem Bus. Natürlich ging mein ersterBlick zum See. Ich fand Christopher – und eine platinblonde Badenixe, die auf ihn zusteuerte.
»Ich kann ihn verstehen«, raunte Raffael, der plötzlich hinter mir aufgetaucht war. »Nach so vielen Jahren, in denen er mehr gefürchtet als geliebt wurde, genießt er jetzt die Aufmerksamkeit, die er sich immer
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