Tanz der Engel
heraus.
Er fiel nicht darauf rein, zog mich einfach in seine Arme und verscheuchte meine Unsicherheit mit einem stürmischen Kuss, der klarstellte, wie er zu mir stand. Meine Ohren glühten, als anerkennende Pfiffe und das Gejohle meiner Mitschüler – hauptsächlich der männlichen – die Aula erfüllte.
»Hallo Lynn«, flüsterte Christopher während einer Kusspause. »Es ging leider nicht schneller.«
Ich nickte nur, schmiegte mich wieder an ihn und hoffte, dass er mir später mehr erzählen würde.
Ich wartete geduldig, bemaß sein Schweigen in Engelszeit. Gönnte ihm, sich im Internat einzuleben. Dank seiner übernatürlichen Ausstrahlung brauchte Christopher nicht lange dafür.
Die meisten Internatsschüler waren neugierig, verwickelten ihn in ein Gespräch oder halfen ihm, sich zurechtzufinden – was mich jedes Mal amüsierte. Das Schloss und die Gegend kannte Christopher länger als jeder andere hier. Nach meiner Schätzung besaß er einen Vorsprung von ungefähr dreihundert Jahren. Aber es gab auch ein paar, die ihr Interesse wesentlich eindeutiger zeigten: Hannah zum Beispiel.
Der Einzige, der einen weiten Bogen um Christopher machte, war Raffael. Es war ihm nicht nur unangenehm, in Christophers Nähe zu sein – was er bei Geo und Französisch zwangsläufig musste –, er hatte regelrecht Angst vor ihm. Das sonderbare Zuckenan seinem rechten Augenlid, das immer dann auftauchte, wenn er Christopher ansah, verriet ihn.
Dass Christopher ein furchteinflößender Engel sein konnte, wusste anscheinend nicht nur ich. Hier, in meiner Welt, wirkte er jedoch völlig harmlos. Niemand würde hinter seiner charmanten Art einen kampferprobten Racheengel vermuten – selbst dann nicht, wenn er an Engel glaubte. Und gerade das bereitete mir zunehmend Kopfzerbrechen. Auf meine Engelsmitschüler wirkte Christopher respekteinflößend, für die Internatsschülerinnen wie eine verheißungsvolle Versuchung, die vernascht werden wollte.
Wenigstens Marisa bekam sich schnell in den Griff. Nachdem sie mir entlockt hatte, dass Christopher der geheimnisvolle Freund war, dessen Existenz ich versucht hatte zu verschweigen, reduzierte sie ihr Strahlen auf ein erträgliches Freundschaftslächeln.
Juliane kam mit Christophers Anziehungskraft weniger gut zurecht. Ich duldete ihre Flirteinlagen mit gemischten Gefühlen. Dass ihre Laune sich in seiner Gegenwart besserte, kam schließlich auch mir zugute.
Hannah mit ihrer ausgefeilten Körpersprache brachte mich jedoch an die Grenzen meiner Toleranzfähigkeit. Ihre hautengen Tanktops und die Miniröcke – kaum breiter als ein Gürtel – waren für jedes Mädchen ohnehin Grund genug, ihren Freund aus Hannahs Reichweite zu zerren. Die lasziven Bewegungen, die sie einsetzte, um Christophers Interesse zu erregen, dagegen der reinste Horror. Und das Schlimmste: Es funktionierte! Christophers Aufmerksamkeit wurde geweckt. Auch wenn er ihre Anmache nur mit einem höflichen Lächeln quittierte und mich jedes Mal, wenn ich ihre Aktion bemerkte, in die Arme nahm oder mir einen Kuss auf die Stirn drückte.
Ich. War. Eifersüchtig! Jeden Tag ein wenig mehr.
Anfangs verdrängte ich das Gefühl. Mit der Zeit reagierte ichbissig. Als Hannah Florian dazu benutzte, um sich an unseren Tisch in der Mensa einzuladen, rastete ich aus.
»Sie oder ich! Du solltest eine Entscheidung treffen, mit wem du befreundet sein willst«, keifte ich Florian an, räumte mein unberührtes Essen weg und stürmte aus dem Speisesaal Richtung Schloss.
Christopher zögerte keine Sekunde und folgte mir. Behutsam legte er eine Hand auf meine Schulter. Ich schüttelte sie ab – ich wollte nicht beruhigt werden, sondern endlich wissen, woran ich war. Warum er mich warten ließ und wieweit Raffaels Geschichte der Wahrheit entsprach. Allerdings wollte ich nicht wie eine eifersüchtige Zicke rüberkommen, die Rechenschaft über jede Minute forderte, die er nicht bei mir war.
Ein überraschtes Funkeln zog über Christophers Smaragdaugen, als sich unsere Blicke trafen.
»Lynn, du kannst nicht jedem, der nicht zusammenzuckt, wenn er mir in die Augen sieht, den Krieg erklären.«
»Hannah wird sich nicht aufs Anschauen beschränken.«
»Mehr werde ich nicht zulassen. Du weißt, warum ich hier bin.«
Der Kies unter meinen Schuhsohlen knirschte, als ich stehen blieb und mich zu Christopher umdrehte.
»Um ehrlich zu sein: nicht unbedingt.«
Christopher seufzte. »Was muss ich tun, um dich davon zu überzeugen, dass ich
Weitere Kostenlose Bücher