Tanz der Engel
gewünscht hat.«
»Du sprichst wohl von dir«, zischte ich, packte meine Tüten und verschwand auf mein Zimmer, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Was auch immer Raffael plante, würde erfolglos sein. Christopher liebte mich. Es gab keinen Grund, eifersüchtig zu sein.
Irgendwann stand ich trotzdem am Fenster. Es war heiß in meinem Zimmer, wir hatten Juni, und der Sommer zeigte sich von seiner besten Seite. Schon während ich die Dachluke öffnete, fand ich auf dem azurblauen See zwei hell schimmernde Punkte: einen platinblonden und einen goldfarbenen. Sie schwammen dicht nebeneinander.
Meine Eifersucht war mit einem Schlag wieder da. Ich kämpfte sie zurück. Ein irrationaler Gefühlsausbruch, bei dem ich Christopher zur Rede stellte, würde Raffael sicher gefallen – und einen Keil zwischen Christopher und mich treiben. Vielleicht war das der Grund, warum Raffael noch immer auf dem Internat war.
Sosehr ich mich auch bemühte, mein aufgewühlter Gemütszustand entging Christopher natürlich nicht. Erst als er mich am Abend nicht zurück auf mein Zimmer brachte, sondern zu der halbrunden, von alten Bäumen gesäumten Wiese am See entführte, wurde ich ein wenig ruhiger.
»Im Schloss der Engel wird heute Mittsommernacht gefeiert.« Die Sehnsucht in Christophers Stimme schmerzte. Er überspielte es, indem er die zu einem mannshohen Haufen gestapelten Holzscheite zum Brennen brachte.
»Du würdest jetzt lieber bei ihnen sein, nicht wahr?«
Christopher drehte sich zu mir um. »Nicht ohne dich!« Er hatte darauf geachtet, dass ich im Feuerschein sein Gesicht sehen konnte. »In der Mittsommernacht verzeihen wir – auch uns selbst –, deshalb ist sie etwas ganz Besonderes. Aber in diesem Jahr habe ich nichts zu verzeihen, das nicht schon vergeben wäre.«
Ich hauchte ihm einen Kuss auf die Wange, dankbar, weil er meinetwegen verzichtete, und erkannte, dass ich mir seiner sicher sein konnte. Er würde zurückkommen. Er war ein Engel und stand jenseits menschlichen Misstrauens.
»Dann gehe ich heute doch früher schlafen und hoffe, dass du morgen wieder hier bist.«
Anstatt mich ziehen zu lassen, hielt Christopher mich fest. »Sie feiern die ganze Nacht. Mir bleibt noch genügend Zeit.« Vorsichtig küsste er meine Stirn, meine Augenlider und, als ein ergebener Seufzer meine Kapitulation verriet, ausgiebig meine Lippen – und wie jedes Mal versank die Welt um mich herum.
In der Nacht verwandelten sich die Bilder in meinem Kopf zu einem Albtraum. Engelsflügel, die seit meinem Bündnis mit Christopher regelmäßig in meinen Träumen auftauchten, versperrten mir die Sicht auf die dahinter verborgene Gestalt. Ich erkannte die Flügel. Es waren Christophers gigantische, von irisierendem Licht durchzogene Schwingen. In einer einzigen Bewegung blitzten sie auf und umschlossen den menschlichen Körper, bevor sie sich blutrot verfärbten und in Flammen aufgingen. Gequälte Schreie durchschnitten die darauffolgende Dunkelheit und brannten sich in mein Gedächtnis. Wie einen grausamen Ohrwurm hörte ich sie noch, als ich erwachte.
Sie verfolgten mich beim Aufstehen und verstärkten meine Angst, dass Christopher etwas passiert war. In Rekordzeit zog ich Shorts und T-Shirt an und stürmte auf den Flur – direkt in Christophers Arme.
»Hast du gehofft oder befürchtet, dass ich mein Versprechen nicht halte?«
Ich warf ihm einen Du-blöder-Engel-Blick an den Kopf und verbarg mein Gesicht an seiner breiten Schulter, damit er nicht sehen konnte, wie panisch ich war. Christopher bemerkte es natürlich trotzdem.
»Lynn. Was ist los? Deine Gefühlskurve verläuft wie eine Achterbahn. Hast du wirklich geglaubt, ich würde nicht hier sein?«
»Es wäre nicht das erste Mal, dass du mich warten lässt«, hielt ich ihm entgegen.
»Ich werde daran arbeiten«, grummelte Christopher, während er mich fester an sich drückte. »Um deine Unsicherheit zu vertreiben.«
Offensichtlich fiel es ihm leicht, meine Schwachpunkte zu erkennen: die Angst, ihn zu verlieren, und meine Eifersucht. Mir drehte sich schon bei der Vorstellung, mit wie vielen hübschen Engelmädchen er die Mittsommernacht verbracht hatte, der Magen um. Dass er und einige blendend aussehende Mädchen – einschließlich Hannah – beim traditionellen Schloss-Torgelow-Drachenbootrennen im gleichen Team paddelten, daran mochte ich gar nicht erst denken.
Für das Abschlussrennen stellte jede Klassenstufe eine Mannschaft. Marisa, die als Teamkapitänin für die
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