Tanz der Engel
schlägst?!«
Christopher erblasste. Sein Erschrecken war echt.
Ich wollte fliehen, doch Aron ließ mich nicht gehen. » Du bleibst. Ich warte draußen!« Aron schloss die Tür hinter sich ab. Er hatte es genauso satt wie ich, mit dem Unterschied, dass er sich verdrückte und ich die Sache allein durchstehen sollte.
»Was habe ich falsch gemacht?«, wiederholte ich meine Frage, während ich meinen Rücken gegen die Tür drückte – vielleicht besaß Aron doch ein Herz und ließ mich entkommen.
»Woher wusstest du, wohin du zielen musst?« Christopher näherte sich. Seine hellgrünen Augen machten mir Angst.
»Was … was meinst du?«
»Du weißt genau, wovon ich spreche.«
Zwei Hände legten sich rechts und links neben meinem Kopf auf das verzierte Türblatt. Noch waren es Hände. Aber wie lange noch? Mein Atem beschleunigte sich zu einem unregelmäßigen Keuchen. Christophers Augen blitzten, als wolle er die Wahrheit aus mir herauspressen. War ich wirklich so blöd zu glauben, es irgendwann mit ihm aufnehmen zu können? Mein Mut versagte. Mir blieb nur noch eines: um Gnade zu winseln.
»Bitte, lass mich gehen.«
»Nicht bevor ich weiß, wer dir erklärt hat, wie du mich treffen kannst.«
»Niemand«, flüsterte ich. »Aber wie sonst hätte ich meine Energie zurückholen können?«
Christopher presste mich gegen die Tür. Er beabsichtigte, die Wahrheit aus mir herauszuquetschen.
»Indem du sie zu dir ziehst und nicht mich damit angreifst.«
»Das … wollte ich nicht.«
»Und dennoch hast du punktgenau getroffen.« Christophers Anschuldigung tat weh.
»Weil ich spüren konnte, wo du am verwundbarsten bist. Doch verglichen mit deinem Instinkt ist meiner erbärmlich. Du triffst jedes Mal ins Schwarze!«
Christophers Atem streifte mich. Ich sog ihn tief in meine Lungen. Bitte lass mich ohnmächtig werden , bettelte ich stumm. Christopher bemerkte meinen Versuch, in die Bewusstlosigkeit zu flüchten, und ließ mir Raum zum Atmen.
»Wie oft noch?«, flüsterte ich, als ich in seinen Augen erkannte, dass er endlich begriff.
»Ich weiß es nicht. Hab Geduld mit mir«, flehte er. Dieses Mal gab ich ihm Halt, während er seine Bitte wiederholte, bis er sicher war, dass ich ihm verziehen hatte.
Aron klang erleichtert, als er die Tür öffnete. »Na also. Es geht doch. Man muss euch nur lange genug einsperren. Aber jetzt solltet ihr euch wirklich beeilen, wenn Lynn an Heiligabend zu Hause essen will. Ich hoffe, du hast eine gute Ausrede für ihre Eltern parat.«
Christopher nickte. »Die habe ich – und ich gehe davon aus, dass du mich notfalls unterstützen wirst.«
»Ich?« Aron schluckte. »Weißt du, wie lange ich schon nicht mehr drüben war?«
»Ja. Deshalb sagte ich ja: nur im Notfall.«
Meine Eltern öffneten gemeinsam die Eingangstür. Der Duft von frisch gebratenem Lamm, Rosmarinkartoffeln, Bohnen und Speck ließ mir das Wasser im Mund zusammenlaufen.
»Schau nicht so gierig! Sonst glauben deine Eltern noch, du willst sie und nicht das Lamm verschlingen«, flüsterte Christopher, als wir unsere Jacken ablegten.
»Der böse Wolf frisst keine zähen Mittvierziger – nur knackige Jungs lassen ihn schwach werden.«
Christophers Smaragdaugen wurden kalt. Erschrocken trat ich einen Schritt zurück.
»Sei vorsichtig mit dem, was du sagst«, warnte er mich, bevor er meine Hand griff und mich zu meinen Eltern in die Küche zog.
Es gab nicht mehr viel zu tun. Christopher hatte unser Kommenangekündigt und meine Mutter sich wieder einmal selbst übertroffen. Anscheinend stand sie auf goldgelockte Schwiegermütter-Lieblinge.
Mit einer Selbstverständlichkeit, die mich sprachlos machte, erzählte Christopher beim Essen eine tragisch schöne Geschichte, die mein unentschuldigtes Verschwinden auch mir erklärte. Natürlich hatte er meine Eltern auf dem Laufenden gehalten, während ich mit meinen Flügeln kämpfte.
So erfuhr ich, wie er – neben seiner verschollenen Cousine – vor drei Tagen seinen jahrelang in Brasilien lebenden Halbbruder wiedergefunden hatte. Dass ich ihn zum Familientreffen nach Süditalien begleitet hatte, erschien meinen Eltern wie das Natürlichste auf der Welt. Sie würden Christopher alles abkaufen. Erst als ich beinahe erstickte, da mir – neben einem Stück Lammkeule – Christophers Lügengeschichte im Hals stecken geblieben war, fiel ihre Aufmerksamkeit auf mich. Besorgt klopfte meine Mutter mir auf den Rücken. Mein Aufschrei beförderte das Stück Fleisch nach
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