Tanz der Engel
Tages übernahm Aron Christophers Rolle als mein Gesprächspartner, was meinen Vater ziemlich irritierte. Dennoch hielt er sich raus. Schließlich war es meine Sache, mit wem ich mich lieber unterhielt. Erst kurz bevor wir aufbrachen, nahm er mich beiseite.
»Ich hoffe, du weißt, was du tust«, mahnte er. »Nett sind beide, aber das kann täuschen. Also überlege dir gut, an wen du dein Herz verschenkst.«
Zu meiner und Christophers Überraschung kehrten wir nicht ins Schloss der Engel zurück, sondern in die Einsiedelei.
»Lynn muss zuerst an ihren Schwächen arbeiten, bevor ich sie dem Rat zum Fraß vorwerfe«, erklärte Aron, als wir die Welten wechselten. »Und da ich keine Zeit verlieren möchte, beginnen wir noch heute.«
»Dann kann ich mich wohl verabschieden«, sagte Christopher und setzte zur Flucht an.
»Nein, für das, was ich vorhabe, bist du unentbehrlich.« Mehr verriet Aron nicht, während er uns durch lange, düstere Flure tiefer in das Innere der höhlenartigen Einsiedelei führte.
»Ich hoffe, ich habe euren Geschmack getroffen.« Aron blieb vor einer einfachen Holztür stehen. »Ich weiß, es ist klein, aber ihr werdet euch schon arrangieren.«
Christopher stand kurz davor, seinen Freund zu töten. »DAS. Wagst. Du. Nicht!«
»Und ob! Ich habe euch drei Tage lang beobachtet, und mir ist klar geworden, wo ihre größte Schwäche liegt. Wenn du nicht willst, dass sie deine Nachfolge antritt, dann gehst du jetzt mit ihr da rein. Sanctifer wird sie schneller brechen, als du ihn töten kannst.«
Christophers Augen gefroren zu Stein. Die Vorstellung, mich bei Sanctifer zu wissen, gefiel ihm noch weniger, als mit mir die Nacht in einem drei Quadratmeter kleinen, mit weißer Wolkenwatte bedeckten Raum zu verbringen.
Ich dagegen war mir nicht sicher, wessen Gesellschaft mir lieber war. Acht Stunden allein mit Christopher könnten himmlisch sein, fühlten sich im Augenblick aber an, als warte die Hölle auf mich. Ich warf Aron einen flehenden Blick zu.
»Ich dachte, du wärst mein Freund.«
»Das bin ich auch. Und genau deshalb verbringst du die Nacht mit ihm und nicht mit mir!«
Der Raum war eigentlich nicht mehr als eine Zelle. Abgesehen von seinem flauschigen Untergrund, zwei langen weißen Wandkerzen und ein paar Kissen gab es nichts außer kahlen Wänden – und viel zu viel von Christophers Gewitterduft. Ich verdrückte mich in eine Ecke, zog die Beine an und legte meinen Kopf auf die Knie.
Christopher setzte sich nicht, sondern blieb mit verschränkten Armen vor der Tür stehen. Sobald sie sich öffnete, würde er hinausstürmen.
War er sauer, weil ich ihn bei meinen Eltern ausgetrickst hatte? Strafte er mich deshalb mit Nichtbeachtung? »Ist es wirklich so schrecklich, in meiner Nähe zu sein?« Erst als Blitze aus Christophers Augen schossen, bemerkte ich, dass ich die Frage laut ausgesprochen hatte.
»Du kannst es dir kaum vorstellen!«
Seine rüde Antwort ließ mich ein Stück tiefer in die Ecke kriechen. Mein Vater hatte recht, doch sein Rat kam zu spät. Vielleicht wäre mein Herz bei Aron besser aufgehoben.
Vom langen Sitzen wurden meine Beine taub. Verbissen harrte ich in meiner unbequemen Kauerstellung aus. Je größer der Abstand zu Christopher war, umso besser. Eine Nacht ging schnell vorüber.
Sie zog sich. Einzuschlafen gelang mir nicht, obwohl ich müde war. Und Christopher um Einschlafhilfe zu bitten, wagte ich nicht. Als Aron endlich die Tür aufschloss, atmete ich erleichtert auf. Innerhalb kürzester Zeit zog er die richtigen Schlüsse.
»Wie ihr wollt. Eine Nacht kann unglaublich lang sein.« Mit einem Kopfschütteln stellte er unser Frühstück an der Türschwelle ab und ging.
»Iss etwas«, forderte Christopher mich auf und schob mir das vollbeladene Tablett zu.
»Danke, ich hab keinen Hunger.«
»Trotzdem solltest du etwas zu dir nehmen.«
»Warum? Damit du dich besser fühlst?«
»Ich dachte dabei eigentlich an dich.« Super! Mich vorzuschieben, um sein Gewissen zu beruhigen.
»Und du glaubst, mit ein paar Bissen käme alles wieder in Ordnung? Es wird Aron nicht genügen, leere Teller vorzufinden.«
»Sicher nicht. Du musst dich schon ein wenig gedulden.«
»Und wie lange?«
»Bis sein Mitleid mit dir größer wird.«
Der erste Teller zerschellte neben Christophers Schädel. Gekonnt wich er meinem Wurfgeschoss aus. Drei weitere folgten. Erst als ich die Marmelade in der Hand hielt, griff er ein. Seine Berührung war zu fest, trotzdem wehrte ich
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