Tanz der Engel
wohl kaum punkten. Mich fröstelte. Nicht nur die Stille zwischen den Linden war eisig.
»Lynn, das ist Ekin, unser Schwertmeister. Er unterrichtet die fortgeschrittenen Schüler in allen Kampfdisziplinen.«
Ich quetschte ein höfliches »Hallo« zwischen den Zähnen hervor. Fortgeschritten war ich nun wirklich nicht. Vielleicht durfte ich gehen, wenn er das bemerkte.
Ekin nahm mich gründlich unter die Lupe. Ausgiebig betrachtete er die Ringe an meinen Händen, während ich mich darauf konzentrierte, in diesem schweigsamen Lindenhain vielleicht doch etwas zu hören. Ekin war mir fremd. Ich fühlte mich ausgeliefert, als er mich begutachtete.
Barsch befahl er mir, Schuhe und Socken auszuziehen. Als ich wieder vor ihm stand, nickte er mir kurz zu – und rammte mir eine Hand vor die Brust.
Sein unerwarteter Angriff raubte mir den Atem und brachte mich aus dem Gleichgewicht. Kurz bevor ich meine Hände zum Abstützen einsetzte, erinnerte ich mich wieder daran, warum das eine ganz schlechte Idee war. Natürlich fiel mein Aufprall äußerst plump und schmerzhaft aus.
»Wenigstens hast du an deine Finger gedacht«, kommentierte Ekin meine Bruchlandung. »Allerdings lässt das Fallen noch einiges zu wünschen übrig.«
Ja, Euer Durchlauchtigster , grummelte ich im Stillen – noch so ein Fossil, das glaubte, Weisheit käme mit den Jahren ganz von allein.
»Du weißt, dass du ihre Beine trainieren musst«, wandte Ekin sich an Aron, der an einem der großen Bäume lehnte und uns beobachtete. »Und den Rücken, den Bauch und die Arme.«
Gab es da sonst noch etwas – außer meinem Kopf vielleicht? Verstand brauchte man zum Kämpfen offenbar nicht. Langsam kam ich wieder auf die Beine. Ich wahrte einen Sicherheitsabstand zu Ekin, um reagieren zu können, falls er mich erneut angriff.
Er tat es. Mit einem abgerissenen Ast zielte er auf meine Knöchel. Ausweichen durfte ich nicht, sonst schlug er mir den Stock in die Fersen. Gefühlte tausend Mal ließ er mich springen, setzte die Latte höher, bis ich meine Schienbeine nicht mehr spüren konnte – spätestens morgen würden sie blau sein.
Nach vorn gekrümmt schnappte ich nach Luft und innerer Gelassenheit. Ich ahnte, was Ekin mit seiner Springaktion bezweckte: Er wollte sehen, wie ich ausrastete. Doch ich hatte schon viel zu oft die Kontrolle verloren, um sie leichtfertig aufzugeben. Mich zu beherrschen fiel mir leichter, seitdem ich wusste, dass von mir das Gegenteil erwartet wurde.
»Ekin, ich glaube, das reicht«, mischte Aron sich ein, als Ekin den Ast noch höher durch die Luft zog. »Sie ist heute Morgen schon um den See gelaufen.«
»Um den ganzen See?«
»Nein – aber weit genug.«
Ich warf Aron ein dankbares Lächeln zu, das er mit einer hochgezogenen Augenbraue quittierte.
»Wie du meinst. Aber sie ist noch weit davon entfernt, meinen Anforderungen zu genügen.«
»Es ist schwer, schon am Anfang alles auf einmal zu beherrschen«, verteidigte Aron mich, der uns keine Sekunde aus den Augen gelassen hatte. Er wusste, dass ich nicht nur gegen Ekins Stock gekämpft hatte. »Sie wird sich steigern. Du kannst dich darauf verlassen.«
Ich seufzte erleichtert und hob meine Socken auf, um sie anzuziehen.
»Was hast du vor?«, fragte Ekin in schneidendem Tonfall.»Die Unterrichtsstunde ist erst vorbei, wenn ich sie beende – oder gibst du etwa schon auf?«
»Nein, ich … ich dachte nur …«
»Das Denken solltest du dir für den Kampf aufheben«, schnauzte er mich an. »Bevor du nicht gelernt hast zu fallen, ohne auf deinem Hinterteil zu landen, gehst du nirgendwohin.«
Mit meinem Blick suchte ich Zuflucht bei Aron. Gab es denn niemanden außer Ekin, der mir das Kämpfen beibringen konnte? Christopher war sicher auch ein guter Lehrer – und bestimmt wäre er nicht so gemein zu mir.
Aron schien meine Gedanken zu erraten, schüttelte den Kopf und forderte mich auf, weiterzumachen. Und so lernte ich, wie ich mich über die Schulter abzurollen hatte, ohne meine Hände zu Hilfe zu nehmen.
»Ekin kann dir mehr beibringen als jeder andere«, erklärte Aron, während ich neben ihm zum Schloss zurückhumpelte.
»Christopher ist bestimmt auch ein guter Kämpfer«, wandte ich ein.
»Ja, das ist er – der Beste, den ich je gesehen habe.«
»Und warum kann er mich dann nicht unterrichten?«
Aron zögerte. Mein Vorschlag schien ihm nicht zu gefallen. »Christopher wäre zu … zu nachsichtig mit dir. Ekin ist das nicht. Er hat schon einmal einen Racheengel
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