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Tanz der Engel

Tanz der Engel

Titel: Tanz der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Itterheim , Diana
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musste es Oktober sein. Gelbe, rote und orangegoldene Blätter spiegelten sich im satten Blau des Sees. Lange Spinnweben flogen durch die Luft und überzogen die Rosen im Schlossgarten mit ihrem feinen Netz. Der erste Herbststurm würde es fortwehen. Würden auch die Fäden, die mich umschlangen, wieder verschwinden?
    Ich starrte auf meine Hände. Abgesehen von den Ringen sahen sie aus wie immer – doch das waren sie nicht. Ein feines Geflecht hielt sie im Zaum. Mit einem Schnitt konnte es zerstört werden und mein dämonisches Erbe offenbaren.
    Wie fest war das Band, das meine Seele und mein Herz zusammenhielt? Würde es reißen? Konnte ein Sturm es genauso leicht wegblasen wie die Spinnweben?
    In Gedanken versunken schleppte ich mich weiter. Bis zur Wiese am See, wo die Engel ihre Feuernächte feierten, kam ich. Meine Beine schmerzten, als ich mich am Ufer niederließ. Das kühle Wasser linderte das Ziehen in meinen Waden für kurze Zeit. Humpelnd schlurfte ich weiter. Ich musste: um wieder menschlich zu werden.
    Am Abzweig zur Kapelle hielt ich erneut an. Die Fußfessel hinderte mich daran, einen Abstecher zu ihr zu machen. Sie lähmte meine Beine, wie ich schnell feststellte, als ich nach vorn kippte bei dem Versuch, den Weg zu verlassen. Aron traute mir nicht. Wahrscheinlich zu Recht.
    Es war Mittag, als ich die Kormoransiedlung am Nordufer erreichte. Normalerweise schaffte ich das in einer halben Stunde. Mein Magen knurrte, aber ich hatte nichts zu essen dabei. WenigstensWasser zum Trinken und Kühlen gab es im Überfluss. Die Turnschuhe wieder über meine wunden Füße zu ziehen dauerte eine Ewigkeit. Meine Hände schmerzten, das Betäubungsgebräu hatte seine Wirkung verloren.
    Verbissen humpelte ich weiter durch den bunten Blätterwald, den die tiefstehende Sonne in goldene Farbe tauchte. Jeder Schritt war quälend. Messer bohrten sich in meine Schenkel und Fußsohlen. Beide Knöchel waren steif und federten schon lange nichts mehr ab.
    Die Sonne ging gerade hinter dem See unter, als ich den Wald verließ und die Anhöhe erreichte, auf der in meiner Welt eine Kirche stand. Hier gab es nur trostlose Einöde und die Schreie verlorener Seelen. Der Engelseelensee lag vor mir. Ich fühlte das Grauen in seinem ganzen Ausmaß: Tausende waren hier im Kampf gefallen.
    Unfähig, den zusätzlichen Schmerz auszublenden, quälte ich mich hinunter zum See. Dort klappte ich zusammen. Ich konnte nicht mehr, weder mein Körper noch meine Seele.
    Aron fand mich. Mit vor der Brust verschränkten Armen schaute er auf mich herab.
    »Du hast dich verspätet. Nenn mir wenigstens einen Grund, warum.«
    »Du verlangst zu viel von mir.«
    »Und ich werde noch mehr von dir fordern. Steh auf und lauf weiter, oder sag mir, warum du hier rumhockst.«
    Um mir Halt zu geben, schlang ich meine Arme um die Beine. »Ich schaffe das nicht. Ohne Christopher bin ich aufgeschmissen. Er … er war es, der mich aus dem Kerker geholt hat. Und nur seinetwegen habe ich das gestern überstanden, ohne dass … dass es mich über… überwältigt hat.« Meine Stimme versagte.
    Aron schien meine Erklärung nicht zu reichen. Schweigend wartete er auf eine bessere Antwort.
    »Ich … ich bin nicht stark genug, um ein Engel zu werden.«
    Sosehr ich es mir auch wünschte, ein wenig so zu sein wie Christopher, der Weg um den See hatte mir die Augen geöffnet. Meine Berufung war unbeabsichtigt passiert. Niemals wäre die Wahl auf mich gefallen. Christopher hatte es allein geschafft, ein Engel zu werden. Dass er mir helfen musste, bewies nur, wie wenig ich dazu taugte.
    »Wer behauptet, dass du nicht stark genug bist?« Aron holte mich aus meiner Verzweiflung.
    »Ich. Ich weiß es.«
    »Und woher? Nur weil Christopher dir das Engelwerden erleichtert, heißt das nicht, dass du nicht fähig bist, einer zu werden.«
    »Er hat alles allein gemacht, alles beiseitegeräumt – ich bin ihm nur gefolgt. Wie du siehst, schaff ich es nicht mal allein um den See.«
    »Weil du an dir zweifelst.«
    »Hab ich nicht allen Grund dazu? Es war nicht vorgesehen, mich zum Racheengel zu machen.«
    »Offenbar bist du besser informiert als ich. Steh auf und geh weiter, wenn du mir keinen überzeugenderen Grund nennen kannst!«, herrschte Aron mich an.
    Der Grund erwachte. Aron wusste, wie er mich reizen musste. Feurig meldete sich der dunkle Teil in mir zu Wort.
    »Was willst du, Aron?! Dass ich dir die Kehle rausreiße?«
    »Versuch’s, wenn dir danach ist. Vielleicht bist du

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