Tanz der Engel
einem die Beine festhielt, waren ja noch okay. Mit Aron, der meine Schultern festhielt? Einfach nur quälend. Auch jede andere Übung erschwerte er mit seinem Dagegenhalten.
Am Ende zitterten meine Beine so heftig, dass ich es kaum die Treppe zu meinem Zimmer hochschaffte. Dort schleppte ich mich unter die Dusche und fiel danach völlig erledigt ins Bett. Von Christopher bekam ich nur mit, wie er mich zudeckte, mir einen Kuss auf die Stirn drückte und es sich in dem blauenSessel bequem machte – zum Augenaufschlagen war ich viel zu müde.
Meine Besuche in der Mensa veranlassten die Engelschüler, entweder früher oder weniger zu essen. Sobald ich aufkreuzte, räumten sie das Feld. Selbst an den Nebentischen entstand Hektik.
Am meisten traf mich Susans Fahr-doch-zur-Hölle-Blick, wenn sie mich neben Aron entdeckte. Ihre negativen Gefühle übertrugen sich, was mich jedes Mal Kraft kostete, ruhig zu bleiben. Nur Paul schien es nicht zu stören, dass ich mich verändert hatte – aber er stand ja auch auf Absonderliches. Trotzdem fühlte es sich gut an, wenigstens noch einen Freund zu haben, der zu mir hielt.
»Lynn, du hättest dabei sein müssen, als Hannes sein Schlafsäckchen herstellte«, begann Paul mir von Hannes zu erzählen, einem neuen Schüler, den ich nicht kannte.
Ich hörte ihm nur mit halbem Ohr zu. Arons und Christophers Unterhaltung erschien mir wesentlich interessanter. Sie waren zum Büfett hinübergegangen – angeblich, um sich einen Kaffee zu holen – und hatten vergessen, dass ich in der inzwischen fast engelsleeren Mensa jedes Wort verstehen konnte, wenn sie nicht flüsterten.
»Sie werden lernen, es zu akzeptieren. Lynn ist nicht die Einzige, die mit Veränderungen zurechtkommen muss.«
»Aber du siehst ja, dass es so nicht geht«, antwortete Christopher.
»Bei dir hat es auch funktioniert.«
»Ja. Nach Jahren!« Der bittere Unterton in Christophers Stimme traf mich. Meinetwegen sein über viele Jahre aufgebautes Vertrauen gefährdet zu sehen, gefiel ihm offenbar nicht. »Du bleibst also dabei, sie am Unterricht teilnehmen zu lassen?«, fragte er weiter.
»Einen Kurs pro Tag – fürs Erste. Je schneller sie sich integriert, umso besser.«
Christopher nickte. Anscheinend stimmte er Aron in diesem Punkt zu. »Aber es wäre einfacher, wenn sie wüsste …«
»Nein!«, fiel Aron ihm ins Wort. »Wenn durchsickert, wer Gabriella ersetzen wird, haben wir nicht mehr viel Zeit, bevor der Rat sich einmischt.«
»Und wenn ich beschleunige, dass …«
»Das hatten wir bereits. Und wenn du auf die Idee kommen solltest, es dennoch zu versuchen, werde ich dich höchstpersönlich aus dem Schloss werfen.«
»Und ihr Gleichgewicht riskieren?«
»Besser ihres als deines! Sie ist noch nicht so tief verstrickt wie du, weshalb sie leichter …« Aron verstummte, als er meinem Blick begegnete.
Ich wandte mich schnell Paul zu, doch mein errötendes Gesicht verriet mich. Aron reagierte unverzüglich, vergaß seinen Kaffee, verabschiedete sich von Paul und Christopher und drängte mich aus dem Gelben Haus.
»Es wird Zeit für eine Unterhaltung«, begann er, während er mir dir Fußfessel anlegte – wie jeden Morgen, bevor ich um den See stapfte. »Am besten, ich begleite dich heute bei deiner Tour.«
Wohl eher Tortur! Ich unterdrückte einen Seufzer. Aron hatte gedroht, mich anzutreiben, sobald er mich begleitete. Offenbar war das die Strafe fürs Lauschen.
Überraschenderweise ließ Aron mich das Tempo bestimmen. Inzwischen schmerzten meine Beine nicht mehr so sehr – zumindest am Anfang und wenn ich nicht allzu schnell ging. Rennen war allerdings noch nicht drin.
»Lynn, du hast die ersten Schritte ganz gut gemeistert, und ich denke, du bist jetzt bereit, allein weiterzugehen.«
Mein Schritttempo geriet aus dem Rhythmus. Aron sprachnicht vom Um-den-See-Laufen, sondern von meiner Anhänglichkeit gegenüber Christopher.
»Du musst lernen, dich ohne Hilfe in den Griff zu bekommen, wenn du herausgefordert wirst. In Kassandras Unterricht hast du bewiesen, dass du das kannst. Dich danach von Christopher trösten zu lassen, war unnötig.«
»Das war kein Trösten«, widersprach ich.
»Was sonst? Bei Ekin gab es keinen Seelentrost, und du bist trotzdem nicht zusammengeklappt.«
»So wie nach meiner ersten Runde um den See?«
Arons Einfühlsamkeit erschien plötzlich in einem anderen Licht. Er wollte entscheiden, wann für mich der richtige Zeitpunkt war zusammenzubrechen. Mit Christopher an
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