Tanz der Hexen
verstanden sich auch gut darauf, ei n ander auszusperren.
Mona wollte alles berühren. Und sie wollte nach dem Victrola suchen. Die Perlen interessierten sie nicht. Sie wollte das Vi c trola. Und sie wollte dem GROSSEN FAMILIENGEHEIMNIS auf die Spur kommen – was war am Weihnachtstag mit R o wan Mayfair passiert? Wieso hatte Rowan ihren frischang e trauten Ehemann Michael verlassen? Und wieso hatten sie ihn halb ertrunken im eiskalten Swimmingpool gefunden? Fast tot war er gewesen. Danach hatten alle gedacht, er würde ste r ben, alle außer Mona.
Natürlich konnte Mona sich wie alle anderen einen Reim auf das machen, was geschehen war. Aber sie wollte mehr als das. Sie wollte Michael Currys Version. Und bis heute gab es diese Version nicht. Wenn er überhaupt jemandem erzählt hatte, was Weihnachten passiert war, dann seinem Freund Aaron Lightner von der Talamasca, und der würde es niema n dem weitersagen.
Oh, es gab so viel zu lernen, so viel zu entdecken. Und dre i zehn zu sein, das war eine Art schlechter Witz für sie. Ihrer Ansicht nach war sie genauso wenig dreizehn, wie Johanna von Orleans jemals dreizehn gewesen war. Oder Katharina von Siena. Natürlich waren die beiden Heilige geworden, aber nur um ein Haar. Beinahe wären sie Hexen gewesen.
Der springende Punkt war: Als sie heute abend von der C o mus-Parade zurückgekommen waren, da hatte sie gewußt, daß Michael stark genug war, um mit ihr zu schlafen, wenn sie ihn nur dazu bringen könnte. Aber das würde nicht leicht sein.
Männer in Michaels Alter verfügten über die beste Kombination von Gewissen und Selbstbeherrschung. Bei einem alten Mann wie ihrem Großonkel Randall war es ein Kinderspiel gewesen, und kleine Jungen wie Cousin David waren überhaupt nicht der Rede wert.
Aber ein dreizehnjähriges Mädchen, das Michael Curry hinterherlief? Das war wie eine Besteigung des Mount Everest, dachte Mona lächelnd. Ich werde es tun, und wenn ich dabei umkomme. Und dann, wenn sie ihn gehabt hatte, würde sie vielleicht wissen, was er über Rowan wußte, warum er und Rowan sich am Weihnachtstag gestritten hatten und warum Rowan verschwunden war. Schließlich war das ja nicht wir k lich ein Betrug an Rowan. Rowan war mit irgend jemandem verschwunden, soviel stand so gut wie fest, und alle in der Familie, ob sie darüber redeten oder nicht, hatten schreckliche Angst um Rowan.
Mona starrte noch einen Augenblick lang zu der großen, wie ein Schlüsselloch geformten Haustür hinauf und dachte an all die Bilder, die es gab und auf denen die unterschiedlichsten Familienmitglieder zu sehen waren, wie sie vor dieser Haustür gestanden hatten. Großonkel Juliens Porträt hing noch immer in der Amelia Street, auch wenn Monas Mutter es jedesmal abnehmen mußte, wenn Tante Gifford kam, wenngleich dies eine schreckliche Beleidigung gegen die uralte Evelyn war. Die uralte Evelyn sprach kaum je ein Wort – nur die furchtbare Sorge um Mona und Monas Mutter riß sie gelegentlich aus ihren Gedanken, die Sorge, daß Alicia sich am Ende wirklich zu Tode trinken könnte und daß es mit Patrick schon so weit gekommen war, daß er gar nicht mehr mit Sicherheit wußte, wer er eigentlich war.
Sie starrte die Schlüssellochtür an und hatte fast das Gefühl, sie könne Onkel Julien jetzt sehen mit seinem weißen Haar und den blauen Augen. Und wenn man sich vorstellte, daß er einmal da oben getanzt hatte mit der uralten Evelyn… Davon hatte die Talamasca nichts gewußt. Über die uralte Evelyn und ihre Enkelinnen Gifford und Alicia war die Geschichte hinweggegangen, und über Alicias einzige Tochter Mona auch.
Aber das war ein Spiel, das sie da spielte: Visionen heraufbeschwören. Onkel Julien stand nicht in der Tür. Man mußte aufpassen. Diese Visionen waren nicht das Eigentliche. Aber das würde kommen.
Mona ging den Plattenweg entlang, vorbei an der Seitenveranda, auf der Tante Deirdre so viele Jahre lang in ihrem Schaukelstuhl gesessen hatte. Arme Tante Deirdre. Mona hatte sie vom Zaun aus oft gesehen, aber sie hatte es nie g e schafft, durchs Tor hineinzukommen. Und jetzt die schreckl i che Geschichte zu kennen und zu wissen, wie sie sie unter Drogen gesetzt hatten…
Jetzt war die Veranda sauber und hübsch und ohne das Drahtgitter, aber Onkel Michael hatte Deirdres Schaukelstuhl wieder aufgestellt und benutzte ihn auch, als sei er jetzt genauso verrückt wie sie einst; stundenlang saß er da in der Kä l te. Die Fenster im Wohnzimmer waren mit Spitzengardinen
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