Tanz der Liebenden
hatte er ihre nette Geste, ein ruhiges und vielleicht auch romantisches Dinner zu Hause einzunehmen, dazu benutzt, um sie mit seinen Problemen aus der Vergangenheit zu erschlagen. Er hatte sie zum Weinen gebracht.
Bravo, O’Connell, wirklich gut gemacht! Er war angewidert von sich. Vielleicht solltest du ihr auch noch erzählen, wie dein Hund gestorben ist, als du zehn warst. Das würde die Dinge sicherlich aufheitern.
Bestimmt würde sie sich jetzt so schnell wie möglich verabschieden wollen. Also konnte er genauso gut den Tisch abräumen.
„Tut mir Leid“, begann er, als er ihre leichtfüßigen Schritte hinter sich hörte. „Ich bin ein Trottel, dich damit zu belästigen. Ich werde mich ums Aufräumen kümmern, und du kannst …“ Er brach abrupt ab, als er ihre Arme um seine Taille gleiten und ihre Wange an seinem Rücken fühlte.
„O’Connell, ich habe slawisches Blut in mir. Starkes Blut, sentimentales Blut. Wir weinen gerne und schämen uns nicht dafür. Wusstest du, dass meine Großeltern aus der Sowjetunion geflohen sind, mit drei kleinen Kindern? Meine Tante Rachel ist die Einzige, die hier in Amerika geboren wurde. Sie gingen zu Fuß, über die Berge, bis nach Ungarn.“
„Nein, das wusste ich nicht.“ Er drehte sich langsam um, bis er ihr ins Gesicht sehen konnte.
„Sie froren erbärmlich und hatten Hunger und Angst. Und dann kamen sie nach Amerika, in ein fremdes Land mit einer fremden Sprache und fremden Sitten. Sie waren arm und allein. Aber sie hatten ein Ziel, wollten etwas so sehr, dass sie bereit waren, dafür zu kämpfen. Sie wollten es schaffen. Ich habe diese Geschichte schon hundert Mal gehört. Und ich heule jedes Mal. Weil es mich so stolz macht.“
Sie wandte sich um und begann Teller aufzustapeln.
„Warum erzählst du mir das?“
„Es gibt verschiedene Formen von Mut, Brody. Da ist Stärke, das hängt mit den Muskeln zusammen. Und dann ist da noch Liebe. Das kommt vom Herzen. Wenn man beides kombiniert, kann man alles im Leben erreichen. Und das ist doch ein paar sentimentale Tränen wert, oder?“
„Weißt du, eigentlich wollte ich diesen Tag ersatzlos aus dem Kalender streichen. Aber du hast meine Meinung geändert.“
„Danke. Weißt du was, wir räumen eben das Geschirr weg, und dann tanzen wir zusammen.“ Es war an der Zeit für ein wenig Fröhlichkeit. „Es sagt viel über einen Menschen aus, wie er tanzt. Dich habe ich auf diesem Gebiet noch nicht erlebt.“
Er nahm ihr die Teller aus der Hand. „Vergiss das Geschirr. Tanzen wir jetzt gleich.“
„Tut mir Leid. Nenn es eine Charakterschwäche … aber wenn ich nicht zuerst aufräume, muss ich die ganze Zeit an schmutzige Teller denken.“
„Das ist neurotisch.“ Er stellte die Teller beiseite und zog sie zur Küche heraus.
„Nein, nur ordentlich. Wenn man Ordnung hält, schafft man mehr in weniger Zeit und erspart sich Kopfschmerzen.“ Über die Schulter sah sie in die Küche zurück. „Es dauert doch nur ein paar Minuten …“
„Nachher dauert es auch nur ein paar Minuten.“
„Warum suchst du nicht die Musik aus, und ich räume eben …“
„Du gibst nie auf, was?“ Er lachte nur und stellte die Stereoanlage auf CD um. „Hier, das habe ich mir gestern Abend angehört und dabei an dich gedacht.“
„Wirklich?“ Die Musik erklang, langsam, sinnlich, erotisch, ging sofort ins Blut.
„Ja. Muss wohl Schicksal gewesen sein“, murmelte er mit tiefer Stimme und zog sie in seine Arme.
Ihr Herz setzte einen Schlag aus. „Ich glaube stark an das Schicksal.“ Sie ermahnte sich, sich zu entspannen, und stellte erstaunt fest, dass sie bereits völlig entspannt war. An ihn geschmiegt, verlangten die hohen Absätze ihrer Schuhe danach, dass sie die Wange an seine legte. „Sehr fließend und geschmeidig, O’Connell“, murmelte sie. „Höchste Punktzahl für Geschmeidigkeit.“
„Manche Dinge vergisst man eben nicht.“ Er ließ sie eine Drehung machen, dass sie hell auflachte. Dann zog er sie wieder an sich, so fest, dass ihr der Atem stockte.
„Sehr schöne Drehung.“ Oh, oh. Das Denken fiel ihr immer schwerer. Sie hatte nicht erwartet, dass er so gut tanzen würde. Es wäre ihr lieber gewesen, wenn er ein wenig unsicher gewesen wäre, dann hätte sie die Kontrolle übernehmen können. Ihre Ausgeglichenheit behalten. Da gab es viel zu viele Dinge an Brody O’Connell, die sie nicht erwartet hätte. Faszinierende Dinge. Ach, es war so wunderbar, in seinen Armen durch das Zimmer zu
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