Tanz der seligen Geister (German Edition)
geworden, wie ungehörig, ja wie gehässig es ist, so von den Vorkehrungen der Gastgeberin in deren eigenem Wohnzimmer zu reden. »Marg French ist nicht da«, sagt sie zu mir mit harter Stimme. »Dabei hat sie gesagt, sie kommt.«
»Ich bin das älteste Mädchen hier«, sage ich angewidert.
»Pst. Das heißt, du kannst als Letzte spielen. Na, es wird ja ohnehin kein sehr langes Programm dieses Jahr, wie?«
Mrs. Clegg beugt sich zu uns herüber, zwischen ihren Brüsten strömt eine warme Wolke unfrischen Geruchs hervor. »Ich werde mal nachsehen, ob sie den Kühlschrank hoch genug für die Eiscreme gestellt hat. Sie fände es schrecklich, wenn die schmilzt.«
Meine Mutter geht durchs Zimmer und spricht mit einer Frau, die sie kennt, und ich kann ablesen, dass sie sagt, Marg French hat doch gesagt , sie kommt. DieGesichter der Frauen im Raum, vor einiger Zeit geschminkt, zeigen allmählich die Wirkungen der Hitze und des allgemeinen Unbehagens. Sie fragen einander, wann es anfangen wird. Bestimmt bald; seit mindestens einer Viertelstunde ist niemand mehr eingetroffen. Wie gemein von den Leuten, nicht zu kommen, sagen sie. Doch in dieser Hitze – und die Hitze ist hier unten besonders schlimm, das muss der unerträglichste Ort in der ganzen Stadt sein – kann man sie fast verstehen. Ich schaue mich um und stelle fest, dass niemand im Raum auch nur annähernd in meinem Alter ist.
Die kleinen Kinder fangen an vorzuspielen. Miss Marsalles und Mrs. Clegg applaudieren begeistert; die Mütter klatschen erleichtert jede zwei oder drei Mal. Meine Mutter gibt sich zwar große Mühe, kann aber die Augen nicht von dem Esszimmertisch und den gemütlichen Spaziergängen der marodierenden Fliegen wenden. Schließlich gelingt ihr ein verträumter, abwesender Ausdruck, ihr Blick fixiert die Luft über der Punschbowle, was ihr erlaubt, den Kopf in diese Richtung zu drehen, und sie dennoch nicht sofort verrät. Miss Marsalles hat ebenfalls Mühe, den Blick nicht von den Vortragenden abzuwenden; sie schaut immer wieder zur Tür. Erwartet sie, dass jetzt noch welche der unentschuldigt Fehlenden auftauchen? Es gibt weit mehr als ein halbes Dutzend Geschenke in der unvermeidlichen Schachtel neben dem Klavier, eingewickeltin weißes Papier und verschnürt mit silbernem Band – keinem richtigen Band, sondern der billigen Sorte, die zerspleißt und zerreißt.
Während ich am Klavier sitze und das Menuett aus Berenice spiele, findet die letzte, von niemandem außer Miss Marsalles erwartete Ankunft statt. Anfangs scheint es sich um einen Irrtum zu handeln. Aus dem Augenwinkel sehe ich eine Kinderschar, acht oder zehn insgesamt und begleitet von einer rothaarigen Frau in einer Art Uniform, auf die Haustür zuströmen. Sie sehen aus wie Kinder einer Privatschule auf irgendeinem Ausflug (sie weisen diese triste Einförmigkeit der Kleidung auf), aber dafür marschieren sie zu wuselig und ungeordnet. Oder zumindest ist das mein erster Eindruck, denn ich kann nicht richtig hinsehen. Ist es das falsche Haus, sind sie eigentlich auf dem Weg zur Impfstation oder zu Sommerbibelstunden? Nein, Miss Marsalles ist mit einer freudig geflüsterten Entschuldigung aufgestanden und hinausgegangen, um sie zu empfangen. Hinter mir höre ich die Geräusche von Leuten, die zusammenrücken, von Klappstühlen, die aufgestellt werden, und ein unpassendes Kichern, das ich niemandem zuordnen kann.
Und während oder kurz nach all der verhaltenen Ankunftsunruhe herrscht ein sonderbar konzentriertes Schweigen. Etwas ist geschehen, etwas Unvorhergesehenes, vielleicht etwas Verhängnisvolles; man kannsolche Dinge hinter dem Rücken spüren. Ich spiele weiter. Ich fülle das erste schroffe Schweigen mit meiner eigenen, besonders verbissenen und holprigen Interpretation von Händel. Als ich von der Klavierbank aufstehe, falle ich fast über einige der neuen Kinder, die auf dem Fußboden sitzen.
Eines von ihnen, ein Junge von neun oder zehn Jahren, wird nach mir spielen. Miss Marsalles ergreift seine Hand und lächelt ihn an, und es gibt kein Zucken seiner Hand, keine verlegene Bewegung seines Kopfes, um sich von diesem Lächeln zu distanzieren. Wie sonderbar, noch dazu für einen Jungen. Er wendet ihr das Gesicht zu, als er sich hinsetzt; sie redet ihm gut zu. Aber mir fällt sein Profil auf, während er zu ihr hochschaut – die plumpen, unfertigen Züge, die abnorm kleinen und schrägen Augen. Ich betrachte die Kinder, die auf dem Boden sitzen, und entdecke noch
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